Clara-Zetkin-Gedenkstätte wird Bibliothek

■ Frauengruppen protestieren gegen die Umnutzung/ Birkenwerder Bürger reagieren jedoch zustimmend/ Überdruß an sozialistischen Persönlichkeiten/ Villa war früher antifaschistisches Pflichtprogramm/ Reisen von DDR-Frauendelegationen

Birkenwerder. An der weißen Jugendstilvilla in Birkenwerder hängt ein neues Schild: »Öffnung nur noch sonnabends.« Die Clara-Zetkin-Gedenkstätte in der Nähe von Berlin leidet seit dem Zusammenbruch der DDR an akutem Besucherschwund. Nur noch zwanzig kommen pro Monat, schätzt die neue Leiterin, Sybille Born.

Deshalb beschloß der Rat der Gemeinde, einen Teil der Räume anderweitig zu nutzen: Zwei sollen an eine Musikschule vermietet werden, einige werden die Stadtbibliothek beherbergen. Sie mußte wegen Einsturzgefahr ihr bisheriges Domizil räumen. Die Bücherei wird in den nächsten Wochen eröffnet. Im Parterre soll ein Literaturcafé entstehen.

In dieser Villa verbrachte Clara Zetkin einige Jahre ihres Lebens. Die Reliquien der Sozialistin, ihr Schreibtisch, Stühle, Kopien ihrer Schriften und Fotos, alles in Glasvitrinen, werden weiter in zwei Räumen im Obergeschoß ausgestellt. Den Versammlungsraum, ein schlichtes Zimmer, spärlich möbliert, können Parteien und Verbände mieten. Für 20 Mark pro Abend hält hier zum Beispiel die PDS ihre monatlichen Versammlungen.

Nichtsdestotrotz hagelte es Proteste. Ein dicker Ordner voll empörter Briefe hat sich beim Kulturamt angehäuft — vor allem von Frauengruppen und Geschichtswerkstätten, die die angemessene Würdigung Clara Zetkins bedroht sehen. Zetkin forderte als eine der ersten ihrer Zeit gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Auf Hunderten von Versammlungen trat sie auf, um Frauen für die Teilnahme an der Reichstagswahl zu mobilisieren. Sie arbeitete als Lehrerin und redigierte Artikel in der Zeitschrift 'Die Gleichheit‘. Zeitweise war sie Mitarbeiterin von 'Die Kommunistin‘.

In der DDR war Clara Zetkin eine der bekanntesten Frauen. In fast jedem Dorf ist eine Straße nach ihr benannt. An jedem 8. März, dem Internationalen Frauentag, bekam die tote Clara in Birkenwerder Besuch: Frauendelegationen aus allen Betrieben der Umgebung trafen sich hier. Die Ausflüge wurden von der Betriebsparteileitung organisiert: »Das waren Betriebsausflüge nur für Frauen«, erinnert sich Sybille Born. »Es gab Blumen und Kuchen und eine Flasche Wein, dazu eine Rede eines Parteisekretärs.« Ab und zu durfte es auch einmal eine Sekretärin sein. Die Begeisterung des Publikums hielt sich allerdings in Grenzen. Eine ehemalige Besucherin zieht Bilanz: »Immerhin bekam man einen freien Tag dafür, das war auch schon mal was.«

Beim Gedenken an die Antifaschistin verfolgte die DDR insbesondere staatstragende Ziele. In einer Zetkin- Biographie, herausgegeben vom »Verlag der Frau«, verrät eine strahlende Werktätige, »Parteisekretär und Träger der Clara—Zetkin-Plakette«: »Als Produktionsleiter in einem Textilbetrieb sehe ich, was wir für Probleme mit unserer neuen Faser haben. Sie verknotet sich, sie reißt. Trotzdem gilt es immer wieder, die Probleme zu meistern, den Plan zu erreichen. Das ist mein Beitrag zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft.« Clara Zetkin — eine Vorkämpferin für die Erfüllung der Produktionsnorm?

Alljährlich fanden in der Gedenkstätte Jugendweihen statt. Das sozialistische Bildungssystem sei, so erfuhren die Jugendlichen dabei, geradezu die Inkarnation Zetkinscher Utopien. Deshalb: »Herz und Tat für Deinen sozialistischen Staat!« Zum besseren Verständnis bekamen die frischgebackenen Pioniere und Pionierinnen gleich eine Fibel dazu: Das Mädchen aus Wiederau — Clara Zetkins Leben als Kinderbuch. Sie war die Lieblingschülerin ihrer Lehrerin Helene Bäumer, die sich wiederum als bürgerliche Frauenrechtlerin engagierte, heißt es in dem Buch. Trotzdem habe sie es zur Klassenkämpferin gebracht. Das läßt hoffen.

Daß ein Teil der Gedenkstätte bald anderweitig genutzt wird, halten die meisten Bürger des Ortes für richtig. Der Überdruß an sozialistischen Persönlichkeiten wird von den Verantwortlichen nicht ernsthaft bestritten. Anne Klein (AL), eine der Protestbriefschreiberinnen, habe gesehen, daß »viele Dinge, Büsten, Gemälde undsoweiter im Keller eingelagert« seien. »Kultur — und vor allem Frauenkultur — haben im neuen Deutschland keinen Stellenwert mehr.«

Sabine Lücke vom Bezirksamt hofft jedenfalls, die Leute auf dem Umweg über andere kulturelle Angebote wieder für Klara Zetkin zu begeistern. Und überhaupt: »Vielleicht ist ja eine öffentliche Bibliothek eher in Clara Zetkins Sinne als so eine museale Gedenkstätte.« Lisa Steger