Gegenüber Prag sitzt Bonn am längeren Hebel

In den Vertragsverhandlungen zwischen Bonn und Prag hat sich die Bundesregierung durchgesetzt/ Rechte für Sudetendeutsche  ■ Aus Bonn Ferdos Forudastan

Seinen Koffer für Prag kann Richard von Weizsäcker nun beruhigt packen. Als sicher gilt nämlich inzwischen, daß der deutsch-tschechoslowakische Freundschaftsvertrag bis zu Beginn seines Staatsbesuches in der CFSR am 7. Oktober unterschriftsreif ist. Fest steht außerdem, daß die Bundesregierung mit dem Abkommen viel bekommen hat, wenig geben mußte und sich dafür nicht einmal besonders zu mühen hatte. Zwar feilen die Diplomaten derzeit noch an den Formulierungen eines Kapitels. Es soll die Rechte der etwa 50.000 in der CFSR lebenden Deutschen festlegen. Schon jetzt ist jedoch absehbar, daß darüber nicht noch einmal verhandelt wird. Die leidige Geschichte vom deutsch- tschechoslowakischen Nachbarschaftsvertrag ist an ihrem Ende angelangt — Monate später, als dies vorgesehen war. Monate, die vergingen, weil die Bundesregierung zauderte, erpreßte, blockierte.

Den Anfang machte Innenminister Wolfgang Schäuble. Während ihres Pfingsttreffens in Nürnberg versprach er den Sudetendeutschen, sie an der Gestaltung der „vertraglichen Beziehungen mit der Tschechoslowakei“ zu beteiligen. Das ließ sich der Vertriebenenverband natürlich nicht zweimal sagen. Über die CSU, die die Interessen der mehrheitlich in Bayern lebenden Sudetendeutschen politisch vertritt, verzögerte er immer wieder den Abschluß des Vertrages und setzte gegen die Wünsche der Tschechoslowaken Gewichtiges durch — auch wenn man jetzt beklagt, nicht genügend in die Vertragsverhandlungen eingebunden gewesen zu sein.

So hatten die Berufsvertriebenen etwa verlangt, die CFSR solle ehemals sudetendeutsches Eigentum „als Grundlage für Investitionen“ zurückgeben, wahlweise Entschädigung zahlen. Natürlich setzten sie sich mit dieser absurden Forderung nicht durch. Doch auch Prag hat in diesem Punkt nicht erreicht, was es wollte und innenpolitisch wohl auch braucht: Bonn verzichtet in dem Vertrag nicht auf jeden Anspruch der Sudetendeutschen auf Entschädigung. Vielmehr hält ein Begleitschreiben zu dem Nachbarschaftsabkommen fest, daß „die Eigentumsrechte einzelner nicht berührt“ werden — sprich, man klammert dieses Problem der Tschechoslowaken aus und hält es damit offen. Aus der Verantwortung hierfür zieht sich die Bundesregierung an einem juristischen Haken: Sie dürfe, so argumentieren etwa Beamte von Außenminister Genscher, nicht einfach über privatrechtliche Eigentumstitel von Vertriebenen verfügen. Mit „Fug und Recht“ könnten diese sonst Entschädigungsansprüche an die deutsche Staatskasse stellen — und sie vor dem Karlsruher Verfassungsgericht auch geltend machen. Freilich: Die Bundesregierung hat auch nicht geleistet, wozu sie rechtlich befugt gewesen wäre und worauf die Prager Regierung besonders gehofft hatte. Weder in dem Vertrag noch in dem Begleitschreiben dazu ist festgelegt, ob und wie Tschechen und Slowaken die — etwa als Zwangsarbeiter oder KZ- Häftlinge — besonders unter der Nazi-Diktatur zu leiden hatten, entschädigt werden. „Es ist doch ein zukunftsorientierter Vertrag“, heißt es dazu aus dem Bonner Auswärtigen Amt. Lediglich „als Abschlußgeste“ und ganz unabhängig von dem Nachbarschaftsabkommen werde überlegt, eine Stiftung zu vereinbaren, aus der ehemalige NS-Opfer entschädigt werden könnten.

Nicht erreicht hat Prags Außenminister Jírí Dienstbier in den zurückliegenden Verhandlungen auch, wonach die Tschechoslowakei Bonn schon Anfang der siebziger Jahren zu bewegen versucht hatte: Das Münchner Abkommen, mit dem 1938 die Tschechoslowakei gezwungen wurde, das Sudetenland an die Deutschen abzutreten, wird in dem Vertrag nicht als von Anfang an ungültig bezeichnet. Vielmehr bestätigt das Abkommen nur „eine“, nicht aber „die“ Nichtigkeit aus moralischen Gründen.

Schon bald nach Beginn der Verhandlungen hatte Prag sich bereit erklärt, den etwa gut 50.000 Deutschen in der Tschechoslowakei Minderheitenrechte nach den Standards der KSZE zu gewähren. Bonner diplomatische Kreise deuten sogar an, daß die Regelungen für diese deutsche Minderheit großzügiger seien als die für die Deutschen in Polen. Zufrieden sein dürften die Deutschen auch damit, was der Vertrag zum sogenannten Vertreibungsunrecht festlegt. Ebenso wie die Vertreibung der Tschechoslowaken durch die Deutschen nach Abschluß des Müncher Abkommens bedauert er nämlich die Vertreibung der Deutschen durch die Tschechoslowaken.

Schon während seines ersten Auslandsbesuches hatte der tschechoslowakische Präsident Václav Havel die Vertreibung der drei Millionen Sudetendeutschen als schweres moralisches Unrecht verurteilt. Weder dies noch Prags Entgegenkommen während der Vertragsverhandlungen, noch die Tatsache, daß Prag wegen seiner schwierigen wirtschaftlichen und außenpolitischen Situation stark an einem schnellen Abschluß des Nachbarschaftsabkommens interessiert war, beeindruckte Bonn. Im Gegenteil. Als die Tschechoslowaken versuchten, wenigstens einige Forderungen nach Wiedergutmachung durchzusetzen, wurden sie vom CSU-Vorsitzenden und Bundesfinanzminister Theo Waigel prompt erpreßt: „Wie werden diese Dinge aussehen, wenn die Tschechoslowakei in die Europäische Gemeinschaft kommen möchte?“ fragte der — sprich, da lassen wir Deutschen sie nicht rein, wenn sie sich unbotmäßig verhält.