: Bonn wußte seit 1975 um Stasi-Schalck
Verfassungsschutzpräsident Werthebach vor dem Schalck-Ausschuß: Bonn seit Mitte der siebziger Jahre über Schalcks Stasi-Anbindung im Bilde/ DKP-Kader auf der KoKo-Gehaltsliste ■ Aus Bonn Thomas Scheuer
Westdeutsche Spitzenpolitiker, die im Rahmen der deutsch-deutschen Beziehungen mit dem früheren DDR-Sonderunterhändler Alexander Schalck-Golodkowski in Berührung kamen, wußten, daß sie einem hochkarätigen Stasi-Mann die Hand schüttelten. Dies ergab die Anhörung des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Dr.Eckhard Werthebach, am Donnerstag im Schalck-Untersuchungsausschuß des Bundestages in Bonn. Danach erhielten die westdeutschen Geheimdienste schon im Jahre 1973 durch einen Überläufer aus der DDR detailierte Insiderkenntnisse über die enge Verzahnung zwischen Schalcks Firmenimperium „Kommerzielle Koordinierung“ (KoKo) und Mielkes Ministerium für Staatssicherheit. Den westdeutschen Geheimdiensten war auch bekannt, daß Schalck gleichzeitig mit seiner Ernennung zum KoKo-Chef Stasi-Chef Mielke direkt unterstellt und berichtspflichtig wurde. Tarnfirmen der DDR-Auslandspionage (HVA) wurden in die KoKo eingegliedert. Über Schalcks Anbindung an den DDR-Geheimdienst erstellte der Verfassungsschutz 1975 einen ausführlichen Bericht für das Innenministerium. Regierungsvertreter, die Schalck trafen, wußten also, daß ihre Äußerungen flugs auf dem Schreibtisch von Stasi-General Mielke landen würden.
Ansonsten bot der Chef des Inlandsgeheimdienstes, der erst seit März dieses Jahres im Amt ist, dem Schalck-Ausschuß wenig, das nicht in jedem guten Zeitungsarchiv nachzulesen wäre. Daß die SED via KoKo die DKP sponserte, ist ja keine so brandheiße Neuigkeit mehr. Aus dem Nähkästchen der Späher erfuhr das Publikum, daß die Ehefrau, der Fahrer und der Sicherheitsbegleiter des DKP-Vorsitzenden Mies pro forma als Außendienstmitarbeiter auf der Gehaltsliste der Westberliner KoKo-Firma Chemoplast GmbH standen. Die Ohren der Abgeordneten spitzen sich, als der oberste Verfassungsschützer eine Erkenntnis ankündigt, die „in der Öffentlichkeit noch nicht bekannt“ ist.
Dann kommt's knallhart: Schalck verfaßte seine Doktorarbeit nicht allein, sondern gemeinsam mit einem Stasi-Offizier namens „H.V.“. Hinter Doktor H.V. wird Schalcks alter Stasi-Kumpan Heinz Volpert vermutet. Dagegen hat das Bundesamt für Verfassungsschutz bis heute „keinen vollständigen Überblick“ über das weltweite KoKo-Geflecht, das schätzungsweise 150 bis 200 Firmen umfaßt. Auch zu der Frage, was die KoKo-Veteranen heute so treiben, kann das Amt „keine Erkenntnisse beitragen“. Und auch bei der Preisfrage der verschwundenen Millionen meldete Werthebach Fehlanzeige. Laut Werthebach bemühen sich neben östlichen auch westliche Geheimdienste um die Übernahme von MfS- Ehemaligen.
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