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Ambivalentes Steinewerfen

■ Erinnerungen einer Hausbesetzerin/ »Wir Frauen wollten nicht als Feiglinge zurückstehen«

Es geschah an jenem Tag, an dem ich den ersten Pflasterstein warf. Frühmorgens hatte uns der Alarm erreicht: Die Bullen räumen. Das erste Gefühl nach dem unsanften Aufwachen war Angst. Schiß hatten auch die anderen, Mitbewohnerinnen und Nachbarinnen, mit denen ich verabredet war. Aber Angst war etwas, über das wir nur ungern sprachen.

Wir zogen hinüber in die besetzten Häuser in der Dieffenbachstraße. Gegen halb neun war der ganze Block von einer schwerstbewaffneten grünen Armee umzingelt. Gegen halb zehn standen wir wieder draußen auf der Straße. Sie hatten uns nicht zusammengeprügelt, nicht einmal festgenommen. Sie hatten uns ein bißchen am Arm die Treppen hinuntergezerrt, ED-behandelt und hinter die Absperrgitter geschubst.

Sammeln am »Nolli« oder auf dem Winterfeldtplatz: Wir zogen in unseren Krieg, mit Lederjacke und Palituch, Helm oder »Haßkappe« — wie schon oft in diesem Jahr. Am eindrücklichsten in Erinnerung geblieben ist mir die Angst. Nicht nur vor den »Bullen«, vor »unseren Street- fightern«, die, voll unter Adrenalin, vorn an der Front ihre Männlichkeit inszenierten.

Die Eskalation war vorprogrammiert. Rund um Winterfeldt- und Nollendorfplatz waberten Tränengaswolken, flogen Steine und andere Gegenstände, brannten Barrikaden. Wir rannten vor den Grünen davon und hinter ihnen her, kreuz und quer durch den Kiez. Meine Bezugsgruppe hatte ich längst verloren. Als Einzelkämpferin im fünften Glied hatte ich nur eine Sorge: bloß nicht zwischen die Fronten geraten. In der Zietenstraße, Ecke Bülow, stand eine Wanne quer — verlassen. Prasselnd gingen Pflastersteine auf sie nieder, kurze Zeit später brannte sie.

An sie habe ich meinen ersten Pflasterstein verloren — aus schweißnasser Hand. Ich habe getroffen — ich war früher eine gute Ballwerferin. Zwei Nächte zuvor waren wir, ein paar Frauen aus unserem Haus, durch den Kiez gezogen. Wir wollten bei Aldi oder Bilka die Scheiben einwerfen, kehrten aber unverrichteter Dinge zurück. Es war nicht nur Angst, sondern auch das Gefühl der Absurdität. Darüber aber redeten wir höchstens vorsichtig. Denn zum »aktiven Widerstand« gegen den Schweinestaat paßten Skrupel und Angst nicht. Unsere Hausgenossen und Kieznachbarn machten uns vor, wie man eine Tränengasgranate am geschicktesten auffängt und zurückwirft, einen Brandsatz bastelt, Steine ausbuddelt, Barrikaden baut. Und wir Frauen wollten schließlich nicht gerne als Feiglinge zurückstehen. Bedenken regten sich zwar leise, auf »Besetzerinnenräten« kam die Militanz und Macho-Mentalität unserer Männer zur Sprache. Aber die wirklich toughen Kämpferinnen blieben der Frauenrunde bald fern. Auf den Besetzerräten dominierten die Helden der Straße, laut, aggressiv, gockelhaft — dazwischen ein paar Heldinnen. Ich lief in jenen Tagen mit einem blauen Auge herum — nein, leider nicht ehrenhaft im Straßenkampf erworben. Ein ganz normaler junger Mann hatte es mir auf einem U-Bahnsteig verpaßt, weil ich mich eingemischt hatte, als er zwei Frauen belästigte.

An jenem Tag, gegen elf Uhr präsentierte sich Innensenator Lummer in Siegerpose auf dem Balkon des geräumten Hauses in der Bülowstraße. Zu seinen Füßen Getümmel. Die Polizei trieb uns die Straße entlang in Richtung Bülowbogen. Als ich dort ankam, muß Klaus-Jürgen Rattay schon tot gewesen sein. Ulrike Helwerth

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