Der Kiez ist für Künstler zu teuer

■ Mit den steigenden Mieten muß sich die Kulturszene des Prenzlauer Bergs ein anderes Domizil suchen/ Das Industriedesignerpaar Rossa ringt mit dem Abschied vom großzügigen DDR-Atelier

Prenzlau. Der Raum wirkt einladend und hat nichts von den High- Tech-Raumstationen der Industriedesigner, die man im Westen gewohnt ist. Kein Piepen von Computern, kein grelles Neonlicht. Vor dem hohen Fenster steht eine Stockpresse, wie sie Anfang dieses Jahrhunderts üblich war. Farbgeruch hängt in der Luft. Sie rührt von einem weiß lackierten Reklameschild her. Bald wird das Schild ein Gasthaus außerhalb Berlins zieren, wie der geschwungene Schriftzug »Mittagstisch« verrät. Entschuldigend, ja ein wenig verschämt bemerkt Peter Rossa: »Ich habe das früher nie gemacht, andere machen das heute im Westen mit einem Computer und modernstem Gerät.« Denn eigentlich hat der studierte »Industrieformgestalter«, wie die Designer in der DDR umständlich genannt wurden, für Kinder gearbeitet.

Zusammen mit seiner Frau Sabine Rossa, einer Modedesignerin, und einem Kompagnon bauten sie Kinderspielplätze, schufen in Handarbeit ausgefallene Rutschen, Klettertürme oder Schaukeln oder farbenfrohe Wandbilder. Weil weder Technik noch Geld vorhanden sind, malt Rossa nun auch Schilder, vier für 1.800 Mark brutto — »Arbeit für 'nen Appel und 'nen Ei.« Doch Rossa ist froh, überhaupt etwas tun zu können. Jahrelang waren sie dieser Sorge enthoben. Als Freiberufler, die sich vor rund 20 Jahren in der DDR aus dem engen Korsett der staatlichen Betriebe freimachten, waren sie gefragt. Doch mit der Wende ist es damit zu Ende. Gerade die Kommunen, früher Hauptauftraggeberinnen, verweisen heute auf ihre leeren Kassen. Zwei Aufträge waren es, die Rossa noch in der ersten Hälfte dieses Jahres retteten, darunter ein Kinderspielplatz in Friedrichshain.

Ein Teil der Geräte liegt in einem der Atelierräume, vielleicht zum allerletzten Mal. Denn von ihrem 200 Quadratmeter großen Atelier haben die Rossas innerlich schon Abschied genommen. Noch warten sie auf einen Mietvertrag, von dem sie bisher verschont geblieben sind. Denn zu DDR-Zeiten hatte der Verwalter lediglich 20 Mark monatlich verlangt. In vielen Stunden Eigenarbeit entrümpelten sie die Räume, in denen einst eine Bäckerei untergebracht gewesen war. Wie hoch die neue Miete ausfallen wird, weiß niemand. Doch selbst bei dem niedrigsten Preis von fünf Mark pro Quadratmeter müßten die Rossas 1.000 Mark aufbringen. Peter Rossa erhält aber gerade mal 1.200 Mark netto Arbeitslosengeld plus Kindergeld für die beiden Kinder sowie Wohngeld, seine Frau gar nichts. Der langjährige Mitarbeiter von Rossas hat sich derweil schon zurückgezogen. Sein neues Arbeitsfeld: Industrievertreter.

Trotz allem kämpfen die Rossas gegen die Resignation an, die sie auch in ihren Freundes- und Kollegenkreisen beobachten. Schließlich wollen sie weiter ihre Berufe ausüben, wie die fünfzigjährige Sabine Rossa erklärt. Beide bemühen sich, gegen die Ateliermieten anzugehen, die seit der Vereinigung im Westen um das Fünffache und im Osten gar um das Zwanzigfache gestiegen sind. Er arbeitet in der gemeinsamen »Atelierkommission« der beiden Ost- und Westberliner Verbände (Verband Bildender Künstler und Berufsverband Bildender Künstler). Sie engagiert sich in der »Initiative gekündigter Künstler«. Einen kleinen Teilerfolg konnten sie bereits verbuchen, als der Senat kürzlich eine Stelle für einen Atelierbeauftragten einrichtete, die allerdings noch besetzt werden muß.

Daß ihnen manche Vorgehensweise westlicher Künstler noch fremd ist, geben sie offen zu. So, als jüngst zur Eröffnung der Rembrandt-Ausstellung einige westliche Kollegen splitternackt gegen die Mietexplosion protestierten. Was ihnen die westlichen Kollegen voraus haben, sei die Erfahrung, mit der ständigen Geldknappheit umzugehen. Taxifahren oder die Berufe häufiger zu wechseln sei »normal«. In der DDR sei hingegen alles »bodenständiger« gewesen. Enttäuscht ist Peter Rossa darüber, daß im Westen Lobbyisten und spektakuläre Auftritte mehr zählten als »rationale Argumente«. »Aber wahrscheinlich ist das unter kapitalistischen Verhältnissen so«, fügt er hinzu. Severin Weiland