Über die Wahrheit der Energiepreise

■ Politiker und Wissenschaftler einig: Die gegenwärtigen Energiepreise sind noch viel zu niedrig

Wuppertal (taz) — Das im Vorfeld der Bundestagswahl 1990 vollmundig angekündigte CO2-Reduzierungsprogramm wartet immer noch auf seine Umsetzung. Die Bundesregierung werde aber „die ersten Maßnahmen noch in diesem Jahr ins Werk setzen“, sagte der Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Bernd Schmidbauer (CDU), am Donnerstag in Wuppertal. Das ehrgeizige Programm, mit dem eine Reduzierung der Kohlendioxyd-Emissionen der Bundesrepublik um mehr als 25 Prozent (etwa 300 Millionen Tonnen pro Jahr) bis zum Jahr 2005 angestrebt wird, ist in der Bonner Koalition heftig umstritten.

Schmidbauer, der sich vor dem Eröffnungskongreß des „Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt und Energie“ zum Thema „Klima und Strukturwandel“ äußerte, räumte ein, daß es bei der Realisierung des Programms „viel Streit geben“ werde. Leider träten auch in der Politik immer noch „scheinheilige Schlaumeier“ auf, die nicht einsehen wollten, daß die Bundesrepublik beim Klimaschutz international eine Vorreiterrolle einnehmen müsse. Das Bonner Wirtschaftsministerium sperrt sich insbesondere gegen eine der Säulen des Klimaschutzprogramms, die von Umweltminister Klaus Töpfer angestrebte CO2-Abgabe, und favorisiert statt dessen eine Klimaschutzsteuer auf europäischer Ebene. Damit wäre der Einstieg in den Reduzierungsplan erneut auf die lange Bank geschoben. Auch aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion war in letzter Zeit gegen mögliche weitere Erhöhungen der Energiepreise als Konsequenz der Klimapolitik Front gemacht worden.

Bei dem Wuppertaler Kongreß waren sich dagegen SPD- und CDU- Politiker, Wissenschaftler und Vertreter der Industrie überraschend einig, daß „die heutigen Energiepreise nicht die ökologische Wahrheit“ sagen und sie demzufolge drastisch erhöht werden müssen. Ottmar Heise, Leiter der Energie- und Industrietechnik bei MBB, berichtete über Vorschläge des vom Bundeswirtschaftsministeriums eingesetzten und aus Fachleuten aus Industrie, Politik und Wissenschaft zusammengesetzten „Forums für Zukunftsenergien“. Das CO2-Einsparziel sollte danach „in die marktwirksame Größe ,DM pro vermiedener Tonne CO2‘“ umgesetzt werden. Heute koste eine eingesparte Tonne CO2 durchschnittlich um 250 DM, sagte Heise. Aufgeschlagen auf den Benzinpreis würde dies eine Preiserhöhung um etwa 80 Pfennig pro Liter bedeuten oder 15 Pfennig pro Kilowattstunde Primärenergie — eine Perspektive, die bisher allerdings allein die Grünen ihren WählerInnen zumuten wollen.

Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Günther Einert (SPD), aus dessen Haushalt das neue Institut finanziert wird, erklärte während der Eröffnungsveranstaltung, daß die heute viel zu niedrigen Energiepreise „zum Raubbau an der Natur führen statt zur intelligenten Nutzung“. Mit dem Institut solle der „Riesenspagat zwischen globalen Problemen und lokaler Umsetzung“ von Lösungsansätzen versucht werden, meinte der Präsident des Wuppertal-Instituts, Ernst Ulrich von Weizsäcker. National wie international könne Klimapolitik nur dann erfolgreich werden, wenn sie für größere Wirtschaftsbereiche ökonomisch attraktiv werde. Eine solche Orientierung biete zugleich die „besten Voraussetzungen zur Entschärfung des Nord-Süd-Konflikts“. Die anstehende „Effizienzrevolution“, die nicht nur den Energiebereich sondern ebenso die weltweiten Stoffströme im Auge haben werde, müsse sich „betriebswirtschaftlich und beim Konsumenten“ lohnen. Außerdem will sich das neugegründete Institut mit Entwürfen einer ökologisch verträglichen Verkehrspolitik auseinandersetzen. Gerd Rosenkranz