Luther ließ schlucken

■ Gesundheitssenator erprobte Laborpräparate an Menschen/ Versuche in der Fachwelt umstritten/ Keine Genehmigung der DDR-Behörden

Berlin. Gesundheitssenator Peter Luther (CDU) muß sich jetzt auch wegen seiner früheren Forschungstätigkeit kritische Fragen gefallen lassen. Am Forschungsinstitut für Lungenkrankheiten und Tuberkulose (FLT) in Berlin-Buch war Luther im vergangenen Jahr Initiator und Leiter eines Versuchs, bei dem ein Präparat an Menschen erprobt wurde, das von der — vom FLT genannten — Heidelberger Herstellerfirma Serva ausdrücklich »nur für den Laboratoriumsgebrauch« vertrieben wird. Auch vom Zentralen Gutachterausschuß für Arzneimittelverkehr (ZGA) der DDR wurden die Versuche weder geprüft noch genehmigt.

Neben Luther selbst nahmen insgesamt sieben Mitarbeiter des Instituts, darunter auch eine medizinisch- technische Angestellte (MTA), an dem Versuch teil. Die vier Teilnehmer der ersten Versuchsserie nahmen in bestimmten Zeitabständen insgesamt acht, die vier Teilnehmer der zweiten Serie drei Kapseln mit je 0,2 Milligramm des aus Weizenkeimen gewonnenen Lektins WGA ein. Ziel des Versuchs war eine Stimulation des Immunsystems. Während die erste Versuchsserie nach Angaben des FLT Anfang letzten Jahres stattfand, erstreckte sich die zweite Serie nach den Worten einer Teilnehmerin bis Oktober 1990.

Luther und die für die Durchführung verantwortliche Biologin Helga Renner berufen sich heute darauf, daß es sich bei dem Präparat nicht um ein Arzneimittel gehandelt habe, sondern um den »Bestandteil eines Lebensmittels«. Deshalb seien die Versuche nach dem damals gültigen Arzneimittelgesetz der DDR nicht genehmigungspflichtig gewesen. Luther will darüber auch in einem »informellen Gespräch« mit dem beim ZGA seinerzeit zuständigen Mitarbeiter Hans Götz Einvernehmen erzielt haben. Götz kann sich daran heute jedoch nicht mehr erinnern. Es wäre durchaus »zu prüfen«, ob Luther mit der Einstufung der WGA-Lektine als Lebensmittel Recht habe, erklärte Götz der taz. Mit ihm sei darüber jedoch nicht gesprochen worden.

Das Lektin wurde in dem FLT- Versuch dem Körper nicht wie ein Lebensmittel zugeführt, sondern in einer magensaftresistenten Kapsel. Damit sollte erreicht werden, daß das Präparat nicht im Magen, sondern im Dünndarm freigesetzt wird, um dort die vermutete immunstimulierende Wirkung zu entfalten. Die Ergebnisse des Versuchs wurden publiziert, riefen in der Fachöffentlichtlichkeit jedoch nur geringe Resonanz hervor. Es gebe nach wie vor »keine sicheren wissenschaftlichen Erkenntnisse«, daß das Lektin die vom FLT postulierte Wirkung entfalten könne, sagt der renommierte Immunologe und amtierende Leiter des immunologischen Instituts der Charité, Rüdiger von Baehr. Das Risiko der Versuche halte er zwar für »gleich null«, es habe sich bei den WGA- Lektinen jedoch offenbar um »potentielle Arzneimittel« gehandelt. Deshalb wäre es »schon besser gewesen«, wenn Luther eine Genehmigung beim ZGA eingeholt hätte.

Wäre der Versuch als Arzneimittelstudie angemeldet worden, hätten freilich weder Luther noch Renner als Leiter fungieren können. In der DDR war es nur Medizinern erlaubt, Arzneimittelversuche an Menschen zu leiten. Der studierte Landwirt Luther und die Biologin Renner hatten zwar eine nach DDR-Recht gültige »Fachanerkennung« als Immunologen, durften damit jedoch nicht als Ärzte praktizieren.

Renner verweist heute darauf, daß bei der Studie nicht der »Status von Abhängigen« ausgenutzt worden sei. Spätestens als Luther im Sommer 1990 vom Posten des Abteilungsleiters für Immunologie in das Amt des Institutsdirektors wechselte, könnte sich dies nach Meinung ehemaliger FLT-Angehöriger jedoch geändert haben.

Als das Institut Anfang 1991 insgesamt 68 der damals etwa 270 FLT- Angestellten entlassen mußte, blieben neben Luther alle sieben Versuchsteilnehmer von der Kündigung verschont. Den Verdacht, daß damit eine »Belohnung« ausgesprochen worden sei, weist Luther jedoch zurück. Er habe »nicht alleine« über die Kündigungsliste entschieden, mit dem Lektin-Versuch habe dies »nichts zu tun« gehabt. Hans-Martin Tillack