: Die Gefahr geistiger Überforderung
Der FC Bayern München und Eintracht Frankfurt/Main trennen sich nach großartigem Gekicke 3:3 Hohe Spielkunst und höheres Tempo stellten einen Fußballnationalspieler vor mentale Probleme ■ Von Werner Steigemann
München (taz) — Brot und Spiele, also kulinarische Köstlichkeiten und vergnügliche Unterhaltung als Mittel zur Zufriedenstellung des Volkes, bietet die bayerische Metropole augenblicklich zur Genüge. Für das Brot ist das Oktoberfest zuständig. Für das unterhaltsame Spiel am Samstagnachmittag zwei Fußballmannschaften. Von der einen, der aus Frankfurt, erwartet man dies schon als Selbstverständlichkeit. Daß jedoch die andere, die Münchner, sich diesmal an der begeisternden Vorstellung beteiligte, überraschte die meisten Zuseher, die selbst das Olympiastadion mit seiner Atmosphäre einer Kloschüssel mit Regenschirmdach in eine euphorische Fußballarena verwandelten.
Und gerecht endete der Ligawettkampf der beiden Mannschaften auch noch, obwohl „Manni“ Bender von den Bayern sprach: „Oans von dene drei muaß er scho reimacha, der ander.“ Mit dem anderen meinte er den Brasilianer in Münchner Diensten namens Mazinho, der das Spiel hätte alleine entscheiden konnte. „Reingemacht“ hat aber sein Gegenüber, der Alt- beziehungsweise Neufrankfurter Jörn Andersen die Tore.
Mit ihrer oft beschriebenen Traumachse Stein-Binz-Bein-Möller kann die Eintracht jeden Gegner schwindlig spielen, und sie hat in der diesjährigen Punkterunde auch bisher den besten Fußball geboten. Hinzu kommt jetzt, daß sie mit dem Dänen Andersen einen Stürmer besitzt, der zur richtigen Zeit am richtigen Platz steht, um die herausgespielten Torchancen zu nutzen. Allein die Abwehr stände etwas unsicher, kritisierte ihr sichtlich stolzer Trainer Stepanovic. Er sah aber nicht so aus, als würden ihm deswegen graue Haare wachsen. Wer alle zum Toreschießen in den Angriff beordert, der muß damit rechnen, daß er hinten auch einen Treffer kassiert.
Aber auch die Bayern wahrten die Chance, die Gunst des Volkes zurückzugewinnen. Um Sand in die Traumachse der Frankfurter zu streuen, stellte Trainer Heynckes seinen Verteidiger Grahammer als Manndecker zu „Andi“ Möller und der Rest der Seinen sollte „organisiert nach vorne spielen“. Was sie dann auch taten. Angeleitet von Stefan Effenberg, der leider für einige Zeit wegen eines Muskelfaserrisses ausfallen wird, berannten die Münchner erstmalig in dieser Saison durchdacht das gegnerische Tor. Effenberg meinte sogar, daß sein Mittelfeld mit Schwabl, Bender, ihm selbst und besagtem Grahammer besser war als das hochgelobte Frankfurter. Fast könnte man ihm zustimmen, doch gänzlich auszuschalten ist die mittlere Reihe der Eintracht eben nicht, wie die drei erzielten Tor beweisen. Trotzdem hätten die Münchner gewinnen müssen, denn sie haben mit Bruno Labbadia einen Stürmer in ihren Reihen, der an den augenblicklich von seelischen Leiden geplagten Gerd Müller erinnert. Zwei der drei Bayerntore steuerte er selbst bei, eins bereite er per Kopf glänzend vor. Er war schließlich auch der traurigste aller Bayernspieler, weil es trotz guter Leistung wieder nicht zu einem Sieg langte.
Aber die Bayern sollten die Köpfe nicht hängen lassen, denn Siegen ist manchmal nicht alles. Die 65.000 Zuschauer bedankten sich nach dem Abpfiff des hervorragenden Schiedsrichters Theobald mit lautstarken Sympathiebekundungen bei beiden Mannschaften. Der Sinn des Spiel war erbracht: die Unterhaltung. Müßte man die einzelnen Torszenen beschreiben, könnten ganze Seiten gefüllt werden. Alles, was ein Fußballherz erfreut, war vorhanden: Kampf, Technik und Spielorganisation, darüberhinaus noch fair inszeniert von den Spielern und gewürzt mit sechs Toren, die in dramatischer Abfolge fielen.
Die Führung der Bayern durch Labbadia, Sekunden später der Ausgleich durch Andersen. Sofort nach dem Seitenwechsel das 2:1, erzielt durch Bender, und kurz darauf der Einstand per Kopf durch Yeboah. Wieder die Führung durch Labbadia, Ausgleich von Andersen und vergebene Konterchancen durch Mazinho. Alles ging dermaßen schnell, daß Nationalkicker Andreas Möler erzählte, er sei manchmal geistig nicht mehr mitgekommen.
So wird auch der Münchner Torhüter Hillringhaus seine Enttäuschung, die er mit einem deftigen bayerischen Kraftausdruck quittierte, überwunden haben und mit Jörn Andersen in ein Bierzelt der Wies'n gegangen sein, um dort seinen „Grant“ in Bier zu ersäufen.
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