INTERVIEW
: „Doppelmoral der Europäer“

■ Den entscheidenden politischen Kampf wird Kroatien um die serbische Minderheit im Land führen müssen

Branko Salaj ist seit der Bildung einer Regierung der nationalen Einheit vor vier Wochen Minister für Information. Salaj war 40 Jahre lang in der Emigration in Schweden, bevor er im Zuge der Demokratisierung nach Kroatien zurückkehrte.

taz: Wie erklären Sie sich die Offensive der Armee zu diesem jetzigen Zeitpunkt? Ist dies der Endkampf?

Branko Salaj: Der aktuelle Angriff steht im Rahmen einer kontinuierlichen Politik, und die besteht darin, einen Eroberungskrieg in Kroatien zu führen. Diese Politik gibt nicht sehr viel auf Verhandlungen, Waffenstillstände oder Vermittlungen der Europäischen Gemeinschaft. Solche Verhandlungen werden lediglich als taktische Pausen genutzt, um die eigenen Kräfte zu reorganisieren und neue Angriffe einzuleiten. Das hat [im Hintergrund wird Luftalarm gegeben, E.R.] zu einer sehr schmerzlichen Einsicht geführt, daß unsere Politik während der letzten Woche falsch war, denn trotz der Gespräche mit Lord Carrington und trotz des geschlossenen Abkommens ist die gewaltsame Auseinandersetzung gewachsen. Sie zielen darauf ab, Kroatien in mehrere Teile zu zerlegen, sie wollen Slawonien und Dalmatien vom Rest des Landes abtrennen. Dies kann keine kroatische Regierung tolerieren.

Franjo Tudjman, der kroatische Präsident, erschien am letzten Dienstag abend nach dem Abkommen von Igalo noch voller Hoffnung, daß es diesmal klappen könnte. Was gab ihm zu dieser Haltung Anlaß?

Präsident Tudjman versuchte immer wieder auf Verhandlungen zu setzen. Es gab sicherlich Anlaß zu Optimismus, denn zum ersten Mal war die Armee, die ja eine Partei in diesem Konflikt darstellt, an dem Abkommen beteiligt. Das war wichtig, denn Europa hat damit die Tatsache akzeptiert, daß die Armee einen Staatsstreich begangen hatte. Nach der Verfassung ist sie ja gar nicht unterzeichnungsberechtigt, das hätte eigentlich Ministerpräsident Markovic sein müssen. Unserer Ansicht nach ist der Bundesstaat bereits verschwunden, manche Institutionen bilden vielleicht noch eine Ausnahme, aber die Bundesregierung ist eigentlich keine ernsthafte Institution mehr. Es ist nun klar geworden, die Armee hat die Macht und wird durch Serbien gestützt. Im Grunde bedeutet dies auch das Ende der Armee, denn letztendlich wird sie sich aufspalten. Doch bis dahin wird sie noch viel Blutvergießen provozieren.

Der Krieg ist trotz dieser Prognose in eine neue Phase eingetreten, die Bundesarmee greift auf breiter Front an. Was fordern Sie jetzt von der Europäischen Gemeinschaft?

Die Europäische Gemeinschaft und auch die USA haben einige schwere Fehler begangen, indem sie nicht klar erklärten, was sie eigentlich wollen. Sie haben keinen klaren Standpunkt. Dieser Umstand hat eine große Rolle bei der Entwicklung des Konflikts geführt. Anfangs hieß es, wir wollen Jugoslawien erhalten, aber mit friedlichen Mitteln. Dann kam der Angriff auf Slowenien, dann war die Position der EG, wir akzeptieren jegliche politische Konstellation, nur friedlich soll sie erreicht werden. Dann schließlich wurde doch Serbien zusammen mit der Armee als Aggressor bezeichnet. Aber zur gleichen Zeit, als die Gespräche geführt wurden, wurde ein striktes Embargo in bezug auf Waffenimporte unsererseits verhängt. Nun wäre dies eine gute Maßnahme, wenn man davon ausgehen kann, daß damit tatsächlich die Kriegsgefahr gesenkt würde. Aber in Wirklichkeit hat die Armee einen Überfluß an Waffen und wir hatten fast nichts. Und dieser Umstand bedeutet tatsächlich, daß, während verbal die Aggression Serbiens und der Armee verdammt wird, Kroatien behindert wird, sich zu verteidigen. Dies muß von den Aggressoren als Erlaubnis der EG und der USA für diese Aggression verstanden werden.

In der jetzigen Situation wird in der UNO, in der EG und anderswo über die Entsendung von Friedenstruppen nachgedacht. Können die den Konflikt überhaupt noch eindämmen?

Die kroatische Führung hat sich für Friedenstruppen ausgesprochen. Wir stimmen auch mit den genannten Voraussetzungen überein: die Integrität der Grenzen muß aufrechterhalten werden und die Minderheitenrechte überall geschützt werden. Ich persönlich sehe Schwierigkeiten bei dem Einsatz der Friedenstruppen. Wenn man keine kohärente Politik hat, können Friedenstruppen nichts ausrichten. Sie können nur sinnvoll sein, wenn ihr Einsatz gleichzeitig mit politischen und ökonomischen Maßnahmen gekoppelt ist. Es reicht nicht aus, zu sagen, schießt nicht, schießt nicht.

Man muß aber in den nächsten Tagen handeln. Was soll jetzt passieren?

Es gab bereits einige hundert Tote, und Europa hat es nicht einmal zur Kenntnis genommen. Aber als wir eine Maßnahme ergriffen haben, die nicht einmal einen Toten gekostet hat, nämlich die Ölpipeline nach Serbien abzustellen, saß uns die Hälfte Europas im Nacken. Diese Doppelmoral in der europäischen Position ist für uns unverständlich. Ja, wir leben in der Gefahr eines schrecklichen Blutvergießens, wir stehen der Zerstörung unserer kulturellen Monumente gegenüber, ungeheure Werte gehen unwiederbringlich verloren. Aber wenn der Aufschrei in Europa erst dann losgeht, wenn wir beginnen, dem Aggressor Widerstand entegegenzusetzen, ist dies eine doppelte Moral. Ich wiederhole mich, Europa braucht zunächst eine klare, eindeutige Politik.

In Zagreb gibt es immer noch Kasernen der Armee. Deren Belagerung wird als Anlaß für die Offensive der Armee genannt.

Wir versuchen, mit den hiesigen Kommandeuren zu sprechen. Es ist eine komplizierte Situation. Sie sind in der Lage, einen großen Teil Zagrebs zerstören, aber auch wir sind in der Lage, dagegenzuhalten. Wir wollten dieses Problem in vernünftiger Weise lösen, alle Soldaten, die heim wollen, können gehen, wir garantieren Offizieren sogar ihre ökonomische Existenz. [Wieder wird Flugalarm gegeben, E.R.] Es gibt Verhandlungen, die wir jedoch nicht in der Öffentlichkeit führen können, wir wollen eine Lösung.

Wenn ich Sie richtig verstehe, dann kämpft Ihre Regierung politisch und militärisch für die Integrität des Staats Kroatien. Nun sprechen zwar die Waffen, doch letztendlich muß der Krieg politisch beendet werden. Wo sind Ihre Kompromißlinien?

Der große politische Kampf geht eigentlich darum, die serbische Minderheit in Kroatien zu gewinnen. Unter denjenigen, die nun gegen die Regierung bewaffnet kämpfen, gibt es einige kriminelle Elemente, die schreckliche Verbrechen begangen haben. Und solchen Leuten kann nicht vergeben werden. Aber es gibt eine große Mehrheit jener, die möglicherweise unter den Einfluß der serbischen Propaganda geraten sind oder die wirklich glauben, hier würde eine gegen sie gerichtete Politik gemacht. Sicherlich haben viele Serben, die ja hier in der Polizei und in der Administration eine große Rolle spielten oder immer noch spielen, die Entwicklung hin zu einem kroatischen Staat als Bedrohung empfunden. Wir haben diesen Menschen zu beweisen, daß dieses Kroatien immer noch auch ihr Land ist. Es ist eine schwierige Aufgabe, da wir nun in zwei Frontlinien stehen. Wir haben die kroatische Bevölkerung zu überzeugen, daß die serbische Minderheit ein Recht hat, hier zu leben, und gleichzeitig die Serben, daß dieser Staat auch der ihre sein kann. Aber eine Abtrennung eines Teils von Kroatien bringt keine Lösung. Mindestens die Hälfte der serbischen Minderheit lebt in kroatischen Städten. Was wir brauchen, ist das Bewußtsein auf beiden Seiten, einen gemeinsamen Staat zu besitzen. Und dies wird angesichts der Dynamik des Krieges nicht einfach zu bewerkstelligen sein.

Das Interview führte Erich Rathfelder Freitag abend in Zagreb.