Ausländerhatz vor großem Publikum

■ Auch am Wochenende detonierten wieder Brandflaschen an den Wänden von Ausländerwohnheimen in Hoyerswerda, Freital und Thiendorf - Signal für Brandanschläge auch im Westen der Republik.

Ausländerhatz vor großem Publikum Auch am Wochenende detonierten wieder Brandflaschen an den Wänden von Ausländerwohnheimen in Hoyerswerda, Freital und Thiendorf — Signal für Brandanschläge auch im Westen der Republik.

Sie haben es geschafft. In Transportwagen aus alten Beständen der Nationalen Volksarmee werden Frauen und Kinder an einen geheimgehaltenen Ort gebracht. Die Kinder sind völlig verwirrt, sie schreien nach dem Vater, heulen ohne Unterlaß. Ihre Mütter haben versteinerte Gesichtsausdrücke. Sie sind genauso fassungslos wie die zwei Frauen, die ihnen noch beim Abfahren zurufen: „Schließt die Plane, damit man Euch nicht sieht.“ Fotografen wollen die Kapitulation vor dem Straßen-Mob festhalten. Ein Pfarrer schreit sie an, macht sie verantwortlich für die Menschenjagd in Hoyerswerda: „Wenn Sie nicht so einen Medienrummel machen würden, wäre es erst gar nicht soweit gekommen.“

Der Kirchenmann unterschätzt dabei die Hoyerswerdaer, die seit einer Woche eine nie dagewesene Hatz auf Ausländer betreiben. Letzten Dienstag waren es nur acht Skins, die auf dem Markt in Hoyerswerda vietnamesische Händler überfallen hatten. Mittlerweile beherrschen rund 50 Neo-Nazis die Stadt, mehrere hundert „normale“ Bürger sympathisieren mit ihnen. In der Stadt will niemand die Verantwortung übernehmen müssen für das, was da noch passiert. Die sächsische Landesregierung hält sich bedeckt. Innenminister Rudolf Krause (CDU): „Absolute Sicherheit für die Ausländer gibt es nicht. Die verlassen ja auch das Heim, und dann können wir sie nicht schützen.“ Die Jugendlichen und die Erwachsenen aus Hoyerswerda, die am Samstag nachmittag aus 20 Metern Entfernung die Vertreibung verfolgen, begleiten die Flüchtlinge mit haßerfüllten Hetzparolen, verbuchen einen „Sieg“ für sich: „Wir haben es geschafft!“ skandiert einer.

Hoyerswerda ist für Ausländer zum lebensgefährlichen Pflaster geworden. Die Mosambikaner, Vietnamesen, Jugoslawen und Rumänen, die in der Unterkunft in der Thomas-Müntzer-Straße bleiben müssen, setzen sich mit Mülltonnen zur Wehr. Sie haben ihre Straße damit gesperrt; die Asylbewerber wollen keinen Deutschen mehr passieren lassen. Der Polizei vertrauen sie nicht — und die kommt auch erst dann, als die Frauen und Kinder schon fliehen. Es heißt, busweise seien Skinheads und Rechtsradikale aus Dresden und Leipzig im Anmarsch auf Hoyerswerda. Und das, wo die Nacht von Freitag auf Samstag in Hoyerswerda schon äußerst brutal gewesen war.

Freitag abend, 20. September, Deutschland-Ost. Die Geschäfte sind seit anderthalb Stunden geschlossen, Hoyerswerda ist wie leergefegt. Autos jagen durch die breiten Straßen, es ist, als wolle jeder so schnell wie möglich nach Hause. Von weitem hallen Schlachtrufe durch die Stadt: Hinter dem Marktplatz haben sich etwa 50 Skinheads und Rechtsradikale zusammengerottet. Mit Bierdosen und Schlagstöcken in der Hand schreien sie „Ausländer raus!“, „Ihr Niggerschweine, verpißt Euch!“ Die Parolen gelten den Bewohnern des Wohnkomplexes (WK) 5c in der Albert-Schweitzer-Straße. Die dort seit Jahren lebenden Mosambikaner und Vietnamesen haben ihre Zimmer abgedunkelt. Polizisten bilden mit ihren Schäferhunden einen Kordon. Erst gestern nacht haben Neo-Nazis Steine, Flaschen, Stahlkugeln und Brandbomben in die Fenster geschleudert. Die Attackierten ihrerseits warfen Flaschen zurück. Keiner in der Stadt versucht, die rassistischen Krawalle zu verhindern, fast alle schauen stillschweigend zu — oder weg. Drei Mannschaftswagen passieren die gröhlenden Skins, plötzlich zerknallen Flaschen auf den Autos. Die Polizisten jagen den Rechtsradikalen hinterher, doch die sind diesmal schneller. Schaulustige, darunter viele Jugendliche aber auch Erwachsene, freuen sich über die Machtlosigkeit der Polizisten, die schon zu SED-Zeiten Haßobjekt waren. Ein 16jähriges Mädchen sagt: „Die haben vor der Wende auf uns draufgeschlagen, und jetzt wieder. Die schützen die Neger, uns verhauen sie.“ Unvermittelt explodieren Leuchtraketen und Böller. Die Gerüchteküche vermeldet, die marodierenden Skins greifen jetzt das Asylbewerberheim in der Thomas-Müntzer-Straße am anderen Ende der Stadt an. Die Schaulustigen und die Gewaltbereiten fahren in ihren Golfs und Mazdas sofort hin.

Die Polizei ist wieder einmal zu spät dran: Es ist den Rechtsradikalen gelungen, Fenster zu zertrümmern, Molotow-Cocktails zu werfen. Die Asylbewerber stehen noch völlig geschockt auf der Straße, schreien ihre Seele aus dem Leib: „Ihr Faschisten!“ Noch bis zum frühen Morgen ziehen die Rechtsradikalen durch die Straßen, ausländerfeindliche Parolen und Morddrohungen hallen durch die verwaiste Stadt.

Nüchterne Polizeibilanz am Samstag morgen: diesmal keine Verletzten. Drei Skinheads habe man über Nacht eingelocht, sind aber wieder freigelassen worden. Auf dem Wochenmarkt ist am Vormittag alles wie immer: Die Leute kaufen ein und schlendern zwischen den Ständen. Eine Frau indes verteilt gelbe Rosen an die Vietnamesen, die hier Zigarretten verkaufen. Sie ist „entsetzt“ über den Rassismus. Sie schenkt den Vietnamesen Blumen, „weil Sie Ausländer sind“. Währenddessen verlassen etwa 60 Mosambikaner aus dem WK 5c überstürzt die Stadt. In Bussen werden sie nach Frankfurt am Main gefahren, von wo aus sie in ihre Heimat zurückfliegen. Einer sagt: „Besser weg hier, als tot.“ Ein Hoyerswerdaer schreit den abfahrenden Bussen noch hinterher: „Ihr Negerschweine, wir bringen Euch alle um!“

Hoyerswerda liegt 30 Kilometer vor Cottbus. 1956 lebten hier noch 7.000 Einwohner, heute sind es 68.000. Die nordsächsische Kleinstadt ist nicht gewachsen, sondern aus dem Boden gestampft worden: viel Beton, keine Infrastruktur. Nur Plattenbausilos, nur Straßen, sonst nichts. Zu Beginn gab es Arbeitsplätze en masse, Wohnungen auch. Die meisten Menschen arbeiteten im Braunkohle-Bergbau oder beim Gasgiganten Schwarze Pumpe. Nicht immer freiwillig: Schwerverbrecher und solche, die dem SED-Regime politisch unliebsam waren, wurden hierhin abgeschoben. Ende der siebziger Jahre holte man zusätzlich Arbeiter aus dem sozialistischen Ausland: Vietnamesen, Mosambikaner und Angolaner. Sie wohnten auch in den „Arbeiterintensivhaltungsregalen“, wie die Hoyerswerdaer ihre Wohnbunker titulieren.

Wie überall im Osten der Republik haben sich auch in Hoyerswerda die Zeiten nach Auflösung der DDR drastisch geändert: Die Arbeitslosenquote steigt, die Schwarze Pumpe AG beispielsweise entläßt in den nächsten Wochen bis zu 5.000 Arbeiter. Wohnungen sind Mangelware. Ein Großteil der ausländischen Arbeiter ist bereits „ausgereist worden“, die noch Dagebliebenen sollen bis Dezember verschwinden. „Die Neger kriegen Zucker in den Arsch geblasen“, heißt es in Hoyerswerda, die „nehmen uns Arbeit und Wohnungen weg“ und „infizieren unsere Mädchen mit Aids“. Die Bürger von Hoyerswerda übernehmen keine Verantwortung für ihren Rassenhaß.

Thorsten Schmitz, Hoyerswerda