piwik no script img

Nach dem Goldrausch

Im Reservat der brasilianischen Yanomamis lassen Goldsucher Zivilisationskrankheiten und Flurschäden zurück/ Indios sollen zur ursprünglichen Lebensweise zurück  ■ VONASTRIDPRANGE

„Wollen wenigstens Sie die Wahrheit wissen?“ Timbó, einer der größten Gold- und Diamantenhändler in der Stadt, führt ins dunkle, angenehm kühle Hinterzimmer. Hier herrscht Schweigen, überlagert nur vom Surren der Klimaanlage. Timbós ausladender Goldschmuck und mehr als hundert Diamanten funkeln im Neonlicht. Geldscheine, zu Haufen gebündelt, stapeln sich auf der Arbeitsplatte. Demonstrativ prüft der Edelsteinexperte mit einer Lupe jeden einzelnen Diamanten. Ohne aufzublicken sagt er schließlich: „Der Handel mit Gold ist vorbei, ich setze heute kaum noch 100 Gramm pro Tag um. Jetzt rollt das Geschäft mit den Diamanten an.“

Tatsächlich scheint der Goldrausch im äußersten Norden Brasiliens vorbei zu sein. Rund sieben Millionen Dollar will sich die brasilianische Regierung den Abzug der Goldgräber, genannt Garimpeiros, aus dem Reservat der Yanomami-Indianer kosten lassen. Der neue Vorsitzende der staatlichen Indianerschutzbehörde Funai, Sidney Possuelo, gilt als Garant für den neuen indianerfreundlichen Kurs.

Mehr als 2.400 Garimpeiros haben das Yanomami-Gebiet an der Grenze zu Venezuela bereits verlassen. Die restlichen 1.000 Goldschürfer, die sich noch im Dickicht des Regenwaldes verstecken, „werden wir spätestens bis Ende des Monats rausholen“, versichert Dinarte Madeira, Koordinator der Operation „Selva Livre“ (Freier Wald). Danach sollen die Grenzen der 94.000 Quadratkilometer großen Fläche, wo heute noch rund 7.300 Yanomami leben, mit Holzpflöcken abgesteckt und zum Indianerreservat werden.

Während sich die Garimpeiros am schnellen Reichtum berauschten, stürzte die Entdeckung des Edelmetalls auf ihrem Gebiet die Yanomami ins Elend. Rund 2.000 ihrer Stammesangehörigen starben seit Mitte der achtziger Jahre an den Folgen der Geldgier. „Jahre werden vergehen, bis sich die gesundheitlich angeschlagenen Yanomami wieder erholen“, prophezeit der Arzt Oneron Pithan. Drei Jahre lang lebte er im Urwald und sorgte für die medizinische Betreuung der Indianer. Jetzt kann der Kenner seine Pläne in die Tat umsetzen. Als Direktor der Gesundheitsbehörde „Fundacao Nacional de Saúde“ (FNS) in Boa Vista ist er im Rahmen der Aktion „Selva Livre“ für die gesundheitliche Genesung der Yanomami verantwortlich.

Goldhändler Timbó kann zwischen dem Massensterben der Yanomami und dem Ansturm der Garimpeiros keinen Zusammenhang erkennen: „Kranke Indios gab es schon immer. Früher sind sie an vielen Krankheiten gestorben. Erst nachdem die Garimpeiros in ihr Gebiet eindrangen, wurden sie medizinisch versorgt“, behauptet er. Indios und Garimpeiros seien sogar miteinander befreundet. „Sie sind uns dankbar dafür, daß wir sie aus der Steinzeit erlöst haben. Wir geben ihnen alles: Essen, Medikamente, Kleider. Wer will denn heute noch im Urwald leben und Holzschwerter schnitzen? Wir müssen uns zivilisieren!“

300 Kilometer weiter, fernab von der „Zivilisation“, stirbt am selben Tag in der Yanomami-Siedlung „Surucucus“ ein Säugling an Würmern. Für die sechs Mitarbeiter der „Fundacao Nacional de Saúde“, die dort zusammen mit der Funai eine Krankenstation betreiben, gehört das Säuglingssterben bereits zum Alltag. In allen Yanomami-Siedlungen ging die Bevölkerung zurück. Nur die Missionsstation Catrimani, die von den Goldgräbern weitgehend verschont blieb, verzeichnet einen echten Bevölkerungszuwachs.

Die falsche Freundschaft mit den Garimpeiros ließ die einst stolzen Yanomami zu einem Volk von Bettlern verkümmern. Der Lärm der Dieselmotoren, mit denen die Abenteurer das Flußbett auspumpten, verscheuchte die Tiere aus den Jagdgründen. Tonnen von Quecksilber, mit dem das Gold vom übrigen Gestein getrennt wurde, vergifteten die Flüsse und machten den Fischfang beinahe unmöglich. Die Yanomami beschuldigen jedoch nicht die Garimpeiros, sondern glauben, daß der Dampf von Quecksilber und Dieselmotoren das Unheil der Malaria zu ihnen hinübergeweht hat.

Unvoreingenommen begeistern sie sich nach wie vor für das Essen der „Weißen“, insbesondere Reis und Mehl, und vernachlässigen darüber den Anbau eigener Nahrungsmittel. Die Abhängigkeit von den Goldgräbern löste bei den Indianern eine Hungersnot aus. Da die Yanomami kaum über Abwehrkräfte verfügen, breiten sich harmlose Krankheiten wie Grippe oder Infektionen bei den Stämmen, die zusammen in einer riesigen Hütte, genannt Maloca, leben, epidemieartig aus. Die Folgen sind fatal: Immer weniger der von Krankheiten geschwächten Indios können sich der Feldarbeit widmen. Die Versorgung ist gefährdet.

„Unterernährung ist neben Malaria eine der Haupttodesursachen“, erklärt Sergio Cavalho, Arzt in der „Casa do Indio“ bei Boa Vista. In runden, redgedeckten Holzhütten, der vertrauten Maloca nachempfunden, dösen die Indios in Hängematten vor sich hin. Brennende Scheiterhaufen erhellen Tag und Nacht den dunklen Raum. Wenn die Hütte voll belegt ist, sind Rauch und Hitze im Innern unerträglich. Heute sind zwei Drittel der Patienten Yanomami. Vor vier Jahren belief sich ihr Anteil gerade auf 15,7 Prozent.

Der Aufenthalt im Krankenhaus kann Wochen dauern. Denn nach ihrer Genesung müssen die Indianer oft tagelang auf die Rückkehr in ihre Siedlungen warten. Inhaber von Lufttaxifirmen und Piloten, die einst Garimpeiros gegen Gold in den Regenwald flogen, transportieren nun Indios, Ärzte, Missionare und Lebensmittel zu den abgelegenen Stützpunkten der Funai und der FNS. Jede Flugstunde in den einmotorigen Propellermaschinen kostet den brasilianischen Staat mehr als 1.000 Dollar.

„Die Gesundheit der Yanomami ist die teuerste in ganz Brasilien“, sagt Eliane Texeira, Ärztin und stellvertretende Direktorin der FNS. Nur mit viel Geld und rigider Zutrittskontrolle lasse sich das Reservat wieder in ein malariafreies Gebiet verwandeln. „Statt 42 bräuchten wir 160 Mitarbeiter, mindestens einen eigenen Hubschrauber und ausreichend Medikamente“, rechnet die Ärztin vor.

Für 1992 hat sie beim brasilianischen Gesundheitsministerium vier Millionen Dollar beantragt. Die neuen Beschäftigten der FNS werden für den Aufbau einer mobilen Truppe aus Ärzten, Krankenschwestern und Dolmetschern gebraucht, die zu Fuß mehrere Siedlungen betreuen sollen. „Die Caloca ist nach vier Jahren verdreckt, dann ziehen die Yanomami weiter. Wenn wir jedoch feste Krankenhäuser errichten würden, gäben sie ihr Nomadendasein auf und würden um Reis betteln“, erklärt Eliane.

Auch Dinarte Madeira, Koordinator der Operation „Selva Livre“, weiß, daß der Abzug der Garimpeiros nur die Spitze des Eisberges ist. „Am schwierigsten ist es, die Yanomami zu motivieren, zu ihren alten Lebensgewohnheiten zurückzukehren“, räumt er ein. Die Erfolgsaussichten dafür sind gering, denn seit dem Ausbruch des Goldfiebers ist der „weiße Mann“ aus dem Leben der Yanomami nicht mehr wegzudenken.

Die Kultur des „weißen Mannes“ nagte bissig an den Wertvorstellungen der Indios und stellte ihre Welt auf den Kopf. Nur so ist zum Beispiel die fanatische Liebe zu Hunden, ein Mitbringsel der Garimpeiros, zu begreifen. Die Yanomami teilen mit den Vierbeinern Haus und Hängematte. Dem Vater des verstorbenen Säuglings in Surucucus war der Hund sogar wichtiger als sein Kind. Als der Pilot der brasilianischen Luftwaffe sich weigerte, das Tier im Hubschrauber mitzunehmen, warf der Indio den kindlichen Leichnam aus dem Flugzeug. Eigentlich wollte er in seinem Heimatdorf mit den Verwandten das Todesritual zelebrieren. Doch das tote Kind nützt niemandem mehr, der Hund hilft schließlich beim Jagen...

Während die Flurschäden, die die Garimpeiros hinterlassen haben, erst jetzt, nach ihrem Abzug aus dem Yanomami-Reservat, in ihrem ganzen Ausmaß sichtbar werden, bahnt sich bereits die nächste Auseinandersetzung an. Vergangene Woche entschied der Oberste Gerichtshof in der Hauptstadt Brasilia, neben dem Yanomami-Reservat noch ein weiteres Areal für die Goldsuche zu sperren. Die wütenden Goldgräber drohen mit Bürgerkrieg. Timbó: „Wir geben keinen Millimeter mehr nach.“

In dem 13.478 Quadratkilometer großen Gebiet „Raposa/Serra do Sol“, in dem überwiegend Indianer der Stämnme Macuxi, Wapixana und Taurepang leben, befinden sich zur Zeit rund 5.000 Garimpeiros. Viele von ihnen kamen aus der Yanomami-Reserve herüber. Der Zugang zu diesem Sumpf- und Savannengebiet an der Grenze zu Guayana, wo außerdem 50 Großgrundbesitzer Viehzucht betreiben, ist schwer zu kontrollieren. Denn im Gegensatz zu den Schürfgebieten in der Yanomami-Region, die nur mit dem Flugzeug zu erreichen sind, ist die „Serra do Sol“ mit der Landeshauptstadt Boa Vista durch Straßen verbunden.

Diamantenhändler und Großgrundbesitzer haben einen mächtigen Verbündeten: „Wenn die Regierung die Gründung einer Maxuci- Nation in Roraima zuläßt, wird das Land unregierbar“, warnt Gouverneur Ottomar de Souza Pinto. Er will gegen den Gerichtsbeschluß Berufung einlegen. „Die Funai betreibt eine Politik der Apartheid. Sie schirmt die Indios von der Zivilisation ab und hindert uns, in unserem Staat Landwirtschaft und Viehzucht aufzubauen“, beschwert sich der Gouverneur. Die Goldgräber gehen noch einen Schritt weiter: „Macuxi sind mit Weißen verheiratet, sie wollen nicht als Indios gelten“, lautet die gängige Meinung.

Sollten die Garimpeiros den Streit um „Raposa/Serra do Sol“ verlieren, stünde den 31.000 Indianern im Bundesstaat Roraima eine zusammenhängende Fläche von 114.000 Quadratkilometern zur Verfügung, die zu einem kleinen Teil in den Nachbarstaat Amazonas hineinragt. Die rund 170.000 „Weißen“ müßten sich mit 58 Prozent des 230.000 Quadratkilometer großen Bundesstaates (zum Vergleich: Die Fläche der ehemaligen westlichen Bundesländer beträgt 248.000 Quadratkilometer) begnügen.

Indio-Gegner vermuten hinter dem plötzlichen Meinungsumschwung der brasilianischen Regierung zugunsten von Reservaten eine internationale Verschwörung. „Wir gehen das Risiko ein, daß die Amazonasregion mit ihren Rohstoffen wie Gold, Zinn, Uran und Diamanten in ein riesiges Vietnam verwandelt wird“, befürchtet General Santa Cruz Abreu, Militärkommandant von Amazonien. Das Trauma ausländischer Intervention hat jüngst zur Gründung einer parlamentarischen Untersuchungskommission zum Thema „Internationalisierung des Amazons“ geführt. Abgeordneter Joao Fagundes aus Roraima ist überzeugt: „Wo Gold liegt, leben Indios. Wo es Gold gibt, aber keine Indios, wird alles getan, um sie dort hinzulocken.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen