Ein Zigeuner auf Europa-Tour

„Markus' Traum“, 24.8., West3, Teil1: 20.15 Uhr, Teil2: 23.15 Uhr  ■ Von Reinhard Lüke

Wann immer auf deutschen Volksfesten der Alkoholpegel eine bestimmte Marke überschritten hat, kann man darauf wetten, daß kreuzbrave Reihenhaushälftenbesitzer irgendwann den Gassenhauer vom „lustigen Zigeunerleben“ und der Freiheit der Besitzlosen anstimmen. Markus Reinhardt, in Köln lebender Sinto und Musiker, ist nicht der Typ, der sich über derartige Kapriolen des Biedermeiertums noch sonderlich ereifern könnte. Als er vor Jahren den Plan faßte, irgendwann einmal das Leben auf der Straße, das er nur aus den Erzählungen seiner Vorfahren kannte, am „eigenen Leib“ zu erfahren, war ihm klar, daß es mit der Romantik des Nomadenlebens nicht mehr weit her ist.

Er wollte einfach nur mal nachsehen, was vom Selbstbewußtsein seines Volkes, das über ganz Europa verstreut lebt, seiner Unabhängigkeit und dem Zusammengehörigkeitsgefühl heute noch übrig ist. Daß daraus kein Nostalgie-Trip mit dem Gütesiegel des Authentischen werden würde, war klar: Wie der Benz mit dem betagten Wohnwagen nur geliehen war, war das ganze Unternehmen von vornherein als zeitlich begrenzte (Urlaubs-)Reise geplant.

So zockelte er denn zwei Monate lang mit seinem Gespann 10.000 Kilometer kreuz und quer durch Europa. Begleitet hat ihn auf dieser Tour der Filmemacher Heinz G. Schmidt.

Ein Freund, der mit vielen Traditionen der Zigeuner zwar vertraut ist, aber auch ein „Gadsche“, ein Weißer, dem sie letztendlich fremd bleiben müssen. Ein eigentümliches Spannungsverhältnis, das den gesamten Film durchzieht. Ob der Kölner Sinto überall auf Verständigungsprobleme stößt, weil kaum noch jemand die Zigeuner-Sprache, das Romanesk, spricht, in Paris den Sohn des legendären „Django“ besucht, der sein Geld mit gefälligem „Zigeuner-Pop“ verdient (und mit Markus „natürlich“ um zig Ecken herum verwandt ist), oder in Ungarn einen Freund findet — die Kamera bleibt ihm auf den Fersen, aber auch immer bemüht, ihm nicht zu dicht auf den Pelz zu rücken oder sich gar in die Gespräche einzumischen.

Diese wohltuende Zurückhaltung bar jeden anbiedernden Solidaritätsgehabes verschont uns zwar mit „sozialpädagogischen Tiefen-Interviews“ à la „Wie fühlst du dich jetzt?“, hat aber auch zur Folge, daß der Film bei seinen Bildern immer wieder auf stereotype Motive wie das des durch die verschiedensten Landstriche gleitenden Wohnwagen-Gespannes zurückgreifen muß. Und was die Bilder an Information nicht hergeben, muß notgedrungen durch Off-Kommentare und Gespräche mit engagierten Roma-Vertretern hereingeholt werden.

Doch jenseits dieser Crux liegt die Qualität dieser Dokumentation vor allem in ihrer eigentümlichen Stimmung einer „heiteren Melancholie“, die sie über eine dröge „Anklageschrift in Bildern“ erhebt, ohne irgendetwas an der Situation und den deprimierenden Zukunftsaussichten der Zigeuner zu beschönigen.

Fatal nur, daß die öffentlich- rechtliche Häppchen-Philosophie zwar eine breite Palette von Magazinen mit prägnant nichtssagendem Titel kreiert hat, aber selbst in den Dritten Programmen für eine neunzigminütige Dokumentation heutzutage keinen Sendeplatz mehr bereithält. So wird der erste Teil des Films heute abend in der Reihe Weltweit ausgestrahlt, der zweite Teil, nach einer zweieinhalbstündigen Unterbrechung, in der Reihe Tatort Europa.