KOMMENTAR
: Tertium datur

■ Eine Vereinigung zwischen Bürgerbewegung und grüner Partei ist nach dem Potsdamer Gründungstreffen nur noch als Neukonstituierung sinnvoll

Schade, daß die Sprecher der Bundes-Grünen nach einer eher ungelenken Stippvisite auf der Potsdamer Gründungsversammlung des Bündnis 90 bereits am Samstag nachmittag das Weite suchten. So verpaßten sie nicht nur die Chance, ihren — in letzter Zeit heftig umworbenen — Kooperationspartnern im neuen Bündnisvorstand zu deren Wahl zu gratulieren; entgangen ist ihnen auch die konkrete Erfahrung dessen, was die Bürgerbewegung unter einer alternativen politischen Kultur versteht, die sie von sich selbst und von den Grünen als Voraussetzung einer gemeinsamen Perspektive einfordern. Statt strömungsmotivierter Demontage unliebsamer Personen gab es in Potsdam eine interessiert-sachliche Kandidatenbefragung; statt basisdemokratisch unterfüttertem Prominentenhaß gab es die Wahl der profiliertesten und überzeugendsten Personen, die das Bündnis derzeit zu bieten hat; statt einer verbitterten Spaltung der Versammlung in triumphale Sieger und fassungslos Besiegte stand am Ende ungeteilter Beifall. In der souveränen Art jedenfalls, mit der sich die Gründungsversammlung der Partei Bündnis 90 vom grünen Politmodell abhob, konkretisierte sich zugleich der von vielen wohl eher belächelte Anspruch der Bürgerbewegung, mehr zu sein als der programmierte Ost-Ableger der bundesdeutschen Öko-Partei.

Doch auch für das politische Selbstverständnis der Bürgerbewegung markiert die Wahl des Gründungsvorstands etwas Neues. Er steht nicht nur für das Ende einer Melancholie der geschlagenen Revolutionäre, sondern auch gegen das grassierende Ost-West-Ressentiment, das die Mauer zunehmend ersetzt. Weder der Abkapselung einer vermeintlichen DDR-Identität — wofür jetzt auch die radikaleren Reste des Neuen Forums stehen — noch dem gängigen Modell besinnungsloser Anpassung wurde in Potsdam das Wort geredet. Formuliert wurde die Zumutung eines dritten Weges. Für den offensiv gewendeten politischen Anspruch des Bündnisses bedeutet dies die Abkehr vom FNL-Lobbyismus, das neue Deutschland als politischer Bezugsrahmen und die offene, unideologische Kooperationsbereitschaft — nicht nur mit den Grünen.

Die sehen nach der Potsdamer Wahl noch ein Stück älter aus. Wie der grau-grüne Bundesvorstand ein attraktiver Kooperationspartner für die Bündnissprecher sein könnte, ist derzeit noch schwer vorstellbar. Deshalb sind auch die grünen Rechtsgutachten, die schon einmal die Modalitäten für den Anschluß des Bündnisses vorzeichnen, Makulatur. Den neuen Leuten an der Spitze der Bürgerbewegung jedenfalls ist zuzutrauen, daß sie auch einen Taktiker vom Schlage Joschka Fischers zu der Einsicht bringen, daß die Erneuerung der Grünen die unabdingbare Voraussetzung für die gemeinsame (Wahl-)Perspektive ist. Wenn diese Bedingungen tatsächlich hergestellt werden sollten, dann haben die Grünen endlich die Chance, das vorbildlich zu realisieren, was sie in bezug auf die staatliche Einheit so beredt forderten: die Neukonstituierung. Mit anderen Worten: Grüne und Bündnis 90 müssen sich als Parteien auflösen und auf einem gemeinsamen Gründungsparteitag als neue, auch in ihren politischen Strukturen neue, gesamtdeutsche Partei konstituieren. Matthias Geis