Jugoslawien: Viele offene Fragen

Während der Waffenstillstand weitgehend eingehalten wird, spekuliert man in Kroatien über die weitere Entwicklung: Ist die Armee zu Verhandlungen bereit, oder rüstet sie für einen neuen Krieg?  ■ Von Roland Hofwiler

Kroatien war gestern bemüht, Normalität zu demonstrieren. Das Fernsehen zeigte Bilder über das erneut hektische Treiben in den Großstädten der Republik. Sonderprogramme über die Kriegsschauplätze fehlten, die Nachrichtensendungen waren kürzer als in den letzten dramatischen Tagen. Tatsächlich wird die zwischen dem kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman und dem Oberkommandierenden der Armee, Veljko Kadijevic, am Sonntag ausgehandelte Waffenruhe weitgehend eingehalten. Zwar wurde in der Nacht auf Montag in den ostslawonischen Städten Vinkovci und Osijek noch geschossen, insgesamt jedoch beruhigte sich die Lage. Die Frage lautet nun: Wie geht es weiter? Die gestrigen Zeitungen entwerfen die verschiedensten Zukunftsvarianten. Nach der optimistischsten würden bereits in den nächsten Stunden alle Parteien Verhandlungen aufnehmen, was vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen eine sensationelle Wende wäre. Dieser Hoffnungsschimmer, der auch von Staatspräsident Stipe Mesic verbreitet wird, wurde durch eine Nachricht aus Den Haag untermauert. Dort sollen am Donnerstag die vertagten Friedensverhandlungen zwischen den Konfliktparteien wiederaufgenommen werden.

Doch selbst dann, so die Meinung in Kroatien, sei sicher, daß die von der Armee militärisch „eroberten Gebiete“ nicht so schnell an Kroatien zurückgegeben werden. Behalten will Kadijevic außerdem mit Sicherheit die Kontrolle über die Ölraffinerie Petrinja, diese konnte die Armee erst am Sonntag einnehmen. Kroatiens Präsident Tudjman warnte in einem Fernsehinterview, die Nationalgarde sei gegen Übergriffe der Armee immer besser gewappnet, sollte diese wieder angreifen, werde man mit den erbeuteten Panzern eine kroatische Division aufstellen.

Mißtrauischere Stimmen vermuten, daß die Armee nur eine Kampfpause einlegen wird. Ziel sei es, „nachzurüsten“. In Umfragen der lokalen Radiosender spricht sich die Mehrheit der Befragten skeptisch über die nahe Zukunft aus. Manch einer ist der Ansicht, daß die Generalität nur wegen der UNO-Debatte eingelenkt habe.

Und so gehen die Menschen in Eile ihren versäumten Erledigungen nach, horten Lebensmittel und heben ihr letztes Geld von den Banken ab. Denn man hat nicht vergessen, daß auf jede Waffenruhe der letzten Wochen noch heftigere Kämpfe folgten.

Unverändert blieb am Montag auch eine seit Wochen währende Diskussion: Die Schuld dafür, wer wo zuerst schoß, schob jede der Konfliktparteien der jeweils anderen Seite in die Schuhe. Belgrader Blätter sprechen weiterhin vom „faschistoiden Regime“ in Zagreb, Zagreb vom „serbischen Cetnik-Terror“.