Neue Atomwaffen für Deutschland

Großteil des Nato-Atomwaffenarsenals soll auch künftig in der Bundesrepublik bleiben/ Bonn stimmt dem Bau unterirdischer Bunkerkammern für neue atomare Bomben und Abstandsraketen zu  ■ Von Andreas Zumach

Genf (taz) — Das Atomwaffenarsenal der Nato soll auch künftig weitgehend in Deutschland verbleiben. In Ramstein und an anderen Militärstandorten auf dem Territorium der (Alt-)Bundesrepublik werden die meisten unterirdischen Bunkerkammern zur Lagerung neuer flugzeuggestützter atomarer Abstandsraketen und Bomben errichtet, mit denen die Luftwaffen des westlichen Bündnisses spätestens ab 1997 ausgerüstet werden sollen. Einen entsprechenden Beschluß faßte das zuständige Nato-Gremium, die „Senior Levels Weapons Protection Group“, letzte Woche in Brüssel — unter ausdrücklicher Zustimmung des bundesdeutschen Vertreters.

Offiziell heißt es in Brüssel wie auch bei der Bonner Bundesregierung jedoch nach wie vor, die Nato habe die Einführung der neuen Atomwaffen noch nicht förmlich beschlossen. Vor allem Bundesaußenminister Genscher erweckt bisher den Eindruck, Bonn werde selbst im Falle einer solchen Entscheidung einer Stationierung der Atomwaffen in der Bundesrepublik nicht zustimmen.

Auch bislang schon lagert der größte Teil des Nato-Atomwaffenarsenals mit rund 4.000 Sprengköpfen auf dem Territorium der (Alt-)Bundesrepublik. Der Rest befindet sich in Großbritannien, Belgien, den Niederlanden, Italien, Griechenland und der Türkei. Seit dem Kollaps der Sowjetunion scheint die Nato nun bereit, die bodengestützten Artilleriegranaten und Kurzstreckenraketen ganz oder weitgehend aus Westeuropa abzuziehen — entweder nach Aushandlung eines entsprechenden Vertrages mit Moskau oder unilateral, falls die ehemalige östliche Großmacht entsprechend verfährt. Bei einem völligen Abzug der westlichen bodengestützten Atomwaffen verblieben noch rund 1.400 atomare Flugzeugbomben — davon die meisten wiederum in der Bundesrepublik. Sie sollen ab 1997 durch neue Bombentypen und durch flugzeuggestützte Abstandsraketen (TASM) mit Reichweiten von knapp fünfhundert Kilometern ersetzt werden. Nach dieser „Modernisierung“ und Umstrukturierung würde die Nato in Westeuropa zwar über weit weniger Sprengköpfe verfügen als in den letzten dreißig Jahren, insgesamt jedoch über ein Atomwaffenarsenal mit flexibleren Droh- und Einsatzmöglichkeiten (auch gegen Ziele außerhalb Europas), größeren Reichweiten sowie einem erhöhten Zerstörungspotential. Die Nato startete die Entwicklung neuer, spezialgehärteter unterirdischer Bunkerkammern im Jahre 1989 aus Sorge, die bisher benutzten Atomwaffendepots böten keinen ausreichenden Schutz gegen sowjetische Präzisionswaffen. Bei Tests hielten die neukonstruierten Bunkerkammern dem Abwurf konventioneller 250-Kilogramm-Bomben stand. In jeder Kammer können zwei Atomsprengköpfe gelagert werden.

Die Entscheidung, die meisten dieser Bunkerkammern in Ramstein und an anderen Militärstandorten in der Bundesrepublik anzulegen, sei „völlig logisch“, hieß es letzte Woche bei der Nato. Einige wenige Bunkerkammern werden auch in Großbritannien, Italien, Griechenland und der Türkei gebaut — nicht jedoch in den Niederlanden und in Belgien. Finanziert wird das Bauprogramm bislang aus Nato-Mitteln.

In der Brüsseler Nato-Zentrale wird kein Hehl daraus gemacht, daß formelle öffentliche Entscheidungen über die Einführung der neuen Atomwaffen und die Stationierungsorte bisher mit Rücksicht auf die Bundesregierung unterblieben. Vor allem nach dem Kollaps der Sowjetunion wird befürchtet, entsprechende Entscheidungen könnten in der Bundesrepublik die innenpolitischen Kontroversen über die Sicherheitspolitik wiederbeleben und insgesamt die Kritik am Nato-Bündis verstärken. Zur Weiterführung der bereits laufenden Entwicklung und Produktion der neuen Atomwaffen (in den USA und in Großbritannien) gilt eine derartige Bündnisentscheidung vorläufig als noch nicht notwendig. Die Bundesregierung möchte konkrete Beschlüsse am liebsten bis zum Wahljahr 1994 vermeiden. Nach außen gilt — vorläufig noch — dieses letzte Woche in Brüssel noch einmal bekräftigte Prinzip. Doch der Konflikt ist nur aufgeschoben. „Es wäre merkwürdig, wenn die Bonner Regierung erst dem Bau von Bunkern für neue Atomwaffen zustimmt und sich dann gegen deren Stationierung sperrt“, erklärte der Vertreter eines Bündnispartners nach der Entscheidung der letzten Woche.