: Krankenhäuser als Kriegsgewinnler
Deutsche Kliniken werben systematisch jugoslawische Krankenschwestern an/ Kopfprämien für Vermittler ■ Aus Bremen Dirk Asendorpf
Unbemerkt von der Öffentlichkeit wurde der Anwerbestopp für „Gastarbeiter“ bereits im Februar 1990 teilweise wieder aufgehoben. Seitdem werden gezielt Jugoslawinnen angeworben, um den Pflegenotstand in bundesdeutschen Kliniken zu beheben. Trotz des Krieges reist Ende September eine weitere Delegation von Vertretern deutscher Krankenhäuser in den Adria-Staat, um Krankenschwestern anzuwerben.
Auf rund 90.000 schätzt das Arbeitsamt die Zahl der offenen Stellen im Pflegebereich. Die Abwerbekampagne westdeutscher Kliniken in der Ex-DDR hat das Problem lediglich innerhalb der Republik verschoben. Anfang 1990 hat die Bundesregierung deshalb einen Anwerbevertrag mit dem jugoslawischen Arbeitsministerium geschlossen. „Schon über 2.500 Krankenschwestern konnten inzwischen nach Deutschland geholt werden“, freut sich die zuständige Mitarbeiterin der Frankfurter Zentralstelle für Arbeitsvermittlung, Gottesleben.
Sie wird persönlich die Delegation leiten, die im September alle Regionen Jugoslawiens mit Ausnahme der Kriegsgebiete Kroatien, Slowenien und Montenegro bereisen will. In den jugoslawischen Arbeitsämtern würden regelrechte „Einstellungsgespräche“ geführt, nachdem die Vertreter der in der Delegation vertretenen Kliniken ihre Arbeitsplätze und Heimatstädte angepriesen haben. Selbstverständlich würden dabei keine „berufstätigen Fachkräfte“ abgeworben, versichert Gottesleben. In Jugoslawien seien in den vergangenen Jahren an Fachschulen nämlich erheblich mehr Krankenschwestern ausgebildet worden, als im Land selber benötigt werden. Auf jede freie Stelle kämen dort 70 bis 80 Bewerbungen. Überprüfen kann die deutsche Delegation jedoch nicht, ob die Krankenschwestern, die ihnen die jugoslawischen Arbeitsämter anbieten, tatsächlich unbeschäftigt sind. „Wir verlangen aber eine Bestätigung des zuständigen Arbeitsamtes“, versichert die Frankfurter Anwerberin.
Doch beim Ausstellen dieser Bestätigungen könnten die jugoslawischen Arbeitsvermittler durchaus in einen Interessenkonflikt kommen, wird ihnen doch von den deutschen Krankenhäusern eine Kopfprämie von 200 Mark pro vermittelter Krankenschwester bezahlt. Auch für das Pflegepersonal in dem kriegsgeschüttelten Land ist eine Vermittlung nach Deutschland durchaus attraktiv. Die Anwerbeklinik übernimmt alle Kosten für Umzug, Sprachkurs und Eingliederungspraktikum und zahlt vom ersten Tag an einen deutschen Tariflohn, der um ein Vielfaches über jugoslawischen Gehältern liegt. Auch die Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis ist für jugoslawische Krankenschwestern kein Problem. „Wir vermitteln nur unbefristete Stellen“, versichert Gottesleben.
Auch südostasiatische Krankenschwestern sind inzwischen wieder als „Gastarbeiterinnen“ in der Bundesrepublik willkommen. Wer in den 60er oder 70er Jahren schon einmal in Deutschland beschäftigt war, bekommt jetzt problemlos wieder eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis.
Als einen „politischen Skandal“ sieht Michael Blanke, zuständiger Sekretär der Bremer ÖTV, die Anwerbung jugoslawischer Krankenschwestern. Die Behauptung, es würden lediglich „arbeitslose Pflegekräfte“ geworben, hält er für „dummes Zeug“. Die Krankenpflege-Ausbildung erfordere schließlich einen hohen Praxisanteil. „Es wird also entweder unqualifiziertes Personal geholt oder aber die Krankenschwestern werden doch aus aktiver Beschäftigung in Krankenhäusern abgeworben“, sagt Blanke. Der Bundesregierung würde es lediglich darum gehen, die Kosten für eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Pflegebereich einzusparen.
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