INTERVIEW
: „Mit dem Rechtsstaat kaum mehr zu vereinbaren“

■ Herbert Leuninger, Sprecher der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl, zu den Asylvorschlägen der SPD

taz: SPD-Chef Björn Engholm hat ein Liste von Vorschlägen zum künftigen Umgang mit dem Asylrecht vorgelegt. Erhebliche Verfahrensbeschleunigungen — dies ist die Devise der Sozialdemokraten, mit der sie am kommenden Freitag in das sogenannte Allparteiengespräch zum Thema Asyl mit dem Kanzler gehen. Ist dies der richtige Ansatz?

Herbert Leuninger: Verfahrensbeschleunigungen, wie sie die SPD jetzt vorschlägt, halte ich für falsch und für rechtsstaatlich nicht akzeptabel. Würden die Ideen der SPD Realität, verlöre das Asylgrundrecht wieder einmal ein Stück von seiner Substanz.

Natürlich könnten die Asylverfahren schneller durchgeführt werden, ohne daß hierfür Rechte der Asylbewerber beschnitten würden. Dazu müßte aber der Verwaltungs- und Gerichtsapparat besser funktionieren. Dazu müßte mehr entsprechendes Personal eingestellt, mehr Geld zur Verfügung gestellt werden. Daß Asylbewerber ein bis zwei Jahre auf ihre Anhörung warten, daß Bescheide des Bundesamtes für die Anerkennung politischer Flüchtlinge erst nach vielen Monaten zugestellt werden, daß Gerichtsverfahren oft Jahre dauern: all dies müßte nach der geltenden Verfahrensordnung nicht sein. Die schon jetzt mit dem Rechtsstaatsprinzip kaum mehr zu vereinbarende Verfahrensordnung noch restriktiver auszugestalten, würde nichts bringen. Den Asylbewerbern und Bewerberinnen würde es aber noch mehr schaden.

Vor allem möchten die Sozialdemokraten, daß alles noch schneller gehen kann. So soll in vielen Fällen nach Tagen das Verwaltungsverfahren, nach einigen Wochen dann das gesamte Verfahren abgeschlossen sein. Ist es das, was sie mit dem Rechtsstaat als nicht mehr vereinbar betrachten?

Ja. Nehmen Sie beispielsweise die erste Anhörung vor der Ausländerbehörde. Schon jetzt wird dem Bewerber viel zuwenig Zeit gelassen, wird er sofort nach seiner Flucht ausgefragt. Oft steht er noch unter dem Schock dieser Flucht. So kann er Angst haben, daß seine Aussagen andere Flüchtlinge, die noch unterwegs sind, gefährden. Oder er befürchtet, daß seine in der Heimat zurückgebliebene Familie den Repressionen staatlicher Stellen ausgesetzt wird, nachdem diese von seiner Flucht erfahren haben. In diesem Zustand macht er für sein Verfahren verhängnisvolle Fehler, erzählt weniger, als er eigentlich erzählen könnte. Hätte er noch weniger Zeit zur Vorbereitung — so wenig, wie die SPD sich das wünscht — würde dies den Druck auf ihn noch verstärken. Außerdem wären Bewerber und Bewerberinnen mit geringem Bildungsgrad, die oft nur wenig lesen und schreiben können, noch stärker benachteiligt, als dies jetzt schon der Fall ist. Eine Tatsache übrigens, die die SPD bei ihren ganzen Beschleunigungsideen nicht zu bedenken scheint.

Und schließlich können bestimmte behördliche oder gerichtliche Entscheidungen gar nicht in wenigen Wochen getroffen werden. Zum Beispiel die Entscheidung darüber, ob jemandem, der zwar kein Flüchtling im Sinne des Artikel 16 oder der Genfer Menschenrechtskonvention ist, nicht doch ein Bleiberecht, aus anderen, humanitären und rechtlichen Gründen etwa, zusteht.

Die Sozialdemokraten wollen eine Anhörung abschaffen. Beschneidet auch das die Rechte der Asylbewerber?

Nein. Dies halten wir sogar für sinnvoll. Die verschiedenen Anhörungen zusammenzufassen, würde den Verwaltungsaufwand reduzieren. Es würde den Asylbewerber nicht in Widersprüche treiben, in die er oft gerät, wenn er einmal direkt nach der Flucht und ein zweites Mal Monate später angehört wird. Allerdings müßte er in dieser einen Anhörung bessere Bedingungen haben. Er bräuchte in jedem Fall eine vorherige rechtliche Beratung, kompetente Dolmetscher und so weiter.

Björn Engholm preist auch Gemeinschaftsunterkünfte, die das Verfahren vereinfachen und beschleunigen würden...

Ich denke, die Vergangenheit hat hinreichend gezeigt, wie unmenschlich solche Sammelllager sind und wie viele Probleme sie sogar hervorbringen. Saarluis, Freiburg, Hoyerswerda — das spricht doch alles für sich. Interview: Ferdos Forudastan