Ein Gartenlokal könnte Vergewaltiger abschrecken

■ Görlitzer Park gleich Central Park?/ Übergriffe auf Frauen und Mädchen häufen sich/ Sogar tagsüber meiden viele Frauen den Park/ Das »Erlebnis des Dunkelwerdens« wurde für manche von ihnen zum Alptraum/ Wie hat sich das Klima geändert?

Kreuzberg. Eine unscheinbare Zeitungsnotiz von Ende August. Sie berichtet über eine Vergewaltigung in Kreuzberg: Nachts um 2 Uhr, unter der Eisenbahnbrücke am Südende des Görlitzer Parks, wurde ein 15jähriges Mädchen vergewaltigt. Während der Täter sich über sie hermachte, schaute sein Begleiter zu.

An der Görlitzer Parkmauer waren vor kurzem Flugblätter des »Notrufs für vergewaltigte und mißhandelte Frauen« angeschlagen. »Bekanntmachung« hatten die Frauen ihre Warnung überschrieben und, wenig mutmachend hinzugefügt: »Morgen kann es auch Sie erwischen.« In dem Flugblatt war der Fall einer Frau beschrieben, die Anfang Juli auf dem Gelände des Görlitzer Parks, am hellichten Tag, ins Gebüsch gezerrt und vergewaltigt worden war. »In letzter Zeit häufen sich die Meldungen über Mißhandlugnen und Vergewaltigungen von Mädchen und Frauen«, schrieben die Notruf-Frauen. »Wir sind dieser Bedrohung, auch hier im Kiez, täglich ausgesetzt.« Daß sich die Atmosphäre in Kreuzberg in den letzen Jahren, speziell nach der Maueröffnung, geändert hat, daß es angespannter und agressiver zugeht, darüber sind sich die Frauen nahezu einig. Aber viele verweisen darauf, daß das nicht nur für SO36, sondern für die gesamte Stadt gelte. Eine gestandene Mittvierzigerin aus der Wiener Straße findet, es gebe schließlich auch in anderen Bezirken Vergewaltigungen, und der Kreuzberger Kiez, sagt sie mit einem Anflug von Lokalpatriotismus, sei wenigstens nicht so anonym: »Hier kennt doch jeder jeden.« Manche Frauen haben ihr Verhalten nicht geändert, andere jedoch gehen noch wachsamer und aufmerksamer durch die Straßen. Nachts fahren viele inzwischen Taxi oder Auto, oder selbst bei bitterer Kälte mit dem Fahrrad. Sie haben sich verschiedene Sicherheitsstrategien angeeignet — tragen den Haustürschlüssel in der Hand, lassen sich nachts konsequent nicht ansprechen.

Insbesondere die Gegend um den Görlitzer Park hat bei den Frauen in Kreuzberg einen schlechten Ruf: »Nachts würde ich nie über den Park gehen«, sagt eine Mitarbeiterin des Frauencafés in der Glogauer Straße, die seit Jahren in SO36 lebt. Es ist für sie nahezu die einzige Ecke in Kreuzberg, die sie nachts konsequent meidet: »Da ist für mich ein ganz besetzter Ort.« Das weitläufige Gelände, das nach vielen Diskussionen und Auseinandersetzungen zum »Erlebnispark« umgebaut wird, ist unübersichtlich, nachts gibt es keine Beleuchtung, zudem ist es über weite Strecken von einer Mauer mit nur wenigen schmalen Durchlässen umgeben. Das macht den Park auch tagsüber zu einem Ort, der für Frauen und Mädchen unsicher ist. Eine 13jährige erzählt, daß sie sich dort »überhaupt nicht sicher fühlt«. Immer sei »irgendetwas los«. Neulich hörte sie eine Frau schreien, traute sich aber nicht nachzusehen. Und ihre Mutter ist überhaupt noch nicht auf dem Park gewesen, obwohl sie um die Ecke wohnt.

»Die Übergriffe auf Frauen und Mädchen auf dem Gelände des Parks häufen sich«, bestätigen die Mitarbeiterinnen des Notrufs: »Das geht von Anmache, über tätliche Angriffe bis hin zur brutalen Vergewaltigung.« Von einem Fall wissen die Notruf-Frauen, da mißhandelte der Täter erst die Frau und vergewaltigte sie dann mit einer Flasche.

Wer an einem normalen Werktag über das Gelände geht, spürt, wie unterschiedlich sich Frauen und Männer dort bewegen. Die Frauen laufen zielstrebig, meist zu zweit oder dritt, nur ein paar Punkerinnen liegen auf den Hügeln hinter dem Hallenbad am Spreewaldplatz relaxed im Gras. Männer sind dagegen nicht nur häufiger zu sehen, sie nehmen den Park spürbar selbstbewußter in Besitz. Sie schlendern, beoachten, sitzen auf den Bänken. Vor allem im südlichen Teil, wo nach Vorstellungen der Planer mit künstlichen Hügeln, Bächen, Brücken und einem künstlichen See verwunschene Nischen für ein besonderes »Naturerleben« entstehen sollten, geht es alles andere als idyllisch zu. Durch den Teich toben Hunde, auf den Bänken sitzen einsam Männer. Die dicht mit Büschen gesäumten Wege sind eng und unübersichtlich. Frauen lassen sich hier kaum mehr blicken. Etwas besser und unbefangener ist die Stimmung in der Mitte des Geländes, wo es belebter zugeht und die Sicht über weite Flächen frei ist. Hier ist auch die schnellste Verbindung zwischen der Görlitzer und der Wiener Straße. Der Weg quer übers Gelände wird gern als Abkürzung benutzt.

Viele Anwohnerinnen wünschen sich Laternen, aber darauf werden sie noch warten müssen. Das liegt nicht nur daran, daß die Bauarbeiten noch nicht abgeschlossen sind. Das beauftragte Architekturbüro, die Freie Planungsgruppe Berlin, wollte den KreuzbergerInnen nämlich das »Erlebnisnis des Dunkelwerdens« bescheren und den Park sparsam ausleuchten lassen. Natürlich gab es schon bei der Vorstellung dieser Pläne Kritik von Frauenseite. Genützt hat das wenig. Architekt Dieter Schmidt weiß zwar, daß Frauen auf dem Gelände vergewaltigt wurden. Aber das Gelände mit Flutlicht wie einen »Exerzierplatz« auszuleuchten, sei nicht Sinn der Sache. Zur Mauer, die aus historischen Gründen stehen bleiben sollte und, wie Frauen zurecht kritisierten, im Notfall zur Falle werden kann, fällt dem Planer gar nichts ein: »Was sollen wir tun?«

»Auf dem Schlauch«, steht beim Problem Görlitzer Park auch die AL in Kreuzberg. In Parkwächtern, wie von der CDU-Fraktion gefordert, sieht die Kreuzberger AL-Frau Barbara Österheld jedenfalls keine Lösung: »Die wurden von der CDU auch nicht zum Schutz der Frauen gefordert, sondern um mit dem Hundeproblem fertig zu werden. Das eskaliert die Situation nur. Die Wächter werden doch nur zur Zielscheibe von Anmache.« Ihrer Ansicht nach fühlen sich Frauen dort am sichersten, wo Leben herrscht. Warum nicht ein Gartenlokal ansiedeln? Doch eine kommerzielle Nutzung des Geländes ist in der Planung nicht vorgesehen.

Die Notruf-Frauen haben inzwischen die Polizei aufgefordert, dort verstärkt Streife zu fahren. Das wurde abgelehnt. »Der Görlitzer Park? Das ist auf keinen Fall als Problem-Zone erkannt«, bekräftigt ein für Kreuzberg zuständiger Kriminalbeamter. Auf das gesamte Stadtgebiet bezogen sei dort »keine Häufung« der angezeigten Vergewaltigungen oder sexuellen Nötigungen festzustellen. Im speziell für Sexualstraftaten zuständigen Dezernat in der Hans-Beimler-Straße wurde in der ersten Jahreshälfte nur eine versuchte Vergewaltigung angezeigt. Auch auf die gesamte Stadt bezogen, geht die Polizei nicht von einer signifikanten Zunahme der Sexualstraftaten aus. Dezernatschef Kurt Richter hat allerdings den Eindruck, daß Vergewaltigungen zunehmend brutaler werden, die Täter zum Beispiel immer öfter ein Messer benutzen. Bei alldem weiß die Polizei selbst, daß nur ein Bruchteil der Fälle zur Anzeige kommt, die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher liegt.

»Das Klima ist härter geworden«, sagt eine Selbstverteidungstrainerin aus dem Frauen-Stadteilzentrum Schokofabrik in der Mariannenstraße. Das Straßenbild um den Heinrichplatz zum Beispiel prägten heute Drogenszene und Jugendgangs. Vor allem für Kinder und junge Mädchen findet sie die Situation »ganz schön hart«. Trainerinnen raten den Frauen als das »A und O« des Selbstschutzes, die Situation und die eigenen Kräfte richtig einzuschätzen. Dazu gehöre auch, die eigene »Tagesform« wahrzunehmen und sich in keine Situation zu bringen, zu der frau ein ungutes Gefühl hat. Die Notruf-Frauen fordern Frauen wie Männer dazu auf, »Verantwortung zu übernehmen, die Augen aufzumachen und einzugreifen«. Denn die Täter, sagen sie, »bauen auf die Ignoranz der anderen«. Möglicherweise habe gerade das neue, »starke« Frauenbild der Medien dazu beigetragen, daß Frauen sich heute weniger solidarisch zeigten. Denn nun sei der Typ der starken Einzelkämpferin gefragt, die die Unterstützung von anderen Frauen angeblich überhaupt nicht nötig habe.

Doch zumindest die autonome Kreuzberger Frauenszene hat sich davon nicht beeinflussen lassen. Die Parole »Bildet Banden« erfreut sich immer noch größter Beliebtheit und vor einigen Jahren gab es sogar über mehrere Wochen nächtliche Frauenpatrouillen als Antwort auf eine Reihe von Vergewaltigungen im Kiez. Doch das war, wie die Frauen heute erzählen, einfach eine zu große Belastung, um es über einen längeren Zeitraum durchzuhalten. Größere Aktionen sind gegenwärtig nicht geplant. Dennoch scheint so etwas wie das Phantom einer Patrouille zu existieren. So soll vor kurzem ein Mann auf dem Görlitzer Park nächtens einer Frauenbande begegnet sein und sich dabei furchtbar erschreckt haben. Helga Lukoschat