Vom Lenin-Sprengen zum Denkmalklettern

Jetzt atmen die Kletterer den Geruch von Freiheit und Blei  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Um Gottes Willen“, stöhnt die Archivarin des Warschauer Pressearchivs und schüttelt den Kopf. „Davon haben wir wirklich nichts.“ Natürlich erinnert sie sich daran, daß „da so etwas war“, aber archivieren — solche Sachen? Was die Archivarin so aus der Fassung brachte, ist eine neue polnische „Sportart“: Das Denkmalklettern.

Angefangen hat alles — wie könnte es anders sein — mit der Opposition der siebziger Jahre und jenem Antikommunismus, der fast jedem, der seine aufrechte Haltung und seine Abneigung gegen das System äußern wollte, eingab, auch er müsse einmal das überlebensgroße Lenindenkmal in Nowa Huta bei Krakau sprengen. Inzwischen haben es einige Denkmalsprenger bis zum Abgeordneten gebracht. Lenin dagegen wurde demontiert.

Die achtziger Jahre brachten die Sponti- Revolutionäre der „Orangeroten Alternative“, die auf ihren Pseudo- Demos die sie einkreisenden Geheimpolizisten mit der „Internationale“ hochleben ließen und sich anschließend selbst verhafteten. Sprengstoff und Hammer gehörten nicht in ihr Repertoire. Sie pflegten sich der Denkmäler subtiler anzunehmen. Den Prager Sowjetpanzer rosarot anstreichen — das hätte auch ihr Einfall sein können. Aus ihren Reihen müssen die Kletterer kommen, die mit Seil und Haken einige polnische Denkmäler in den größeren Städten erklommen haben.

Inzwischen hat jedoch die Demokratie in Polen Einzug gehalten, und auch das Klettern ist apolitisch geworden. Entsprechend der allgemeinen Konsumhaltung besteigen die Warschauer Denkmalsteiger nun nicht mehr Dzierzynski, der bereits den städtischen Abrißmaschinen zum Opfer gefallen ist, sondern die Einfriedung der Stadtautobahn. Dort hängen sie, den Rucksack neben dem Randstreifen abgelegt und mit Turnschuhen bekleidet, in der Mitte der etwa zehn Meter hohen, recht glatten Wand und atmen den Geruch von Freiheit und Blei. Warum sie ausgerechnet Warschaus langweiligstes Bauwerk besteigen müssen, konnten wir nicht in Erfahrung bringen — das Verkehrsaufkommen machte ein Interview unmöglich.