GASTKOMMENTAR
: Gehirnamputation

■ Der Fall Drewermann und die Misere der deutschen katholischen Theologie

Die Lage der katholischen Theologie an den deutschen Universitäten ist düster. Die Forschungsfreiheit der Theologieprofessoren ist kirchlicherseits total beschnitten. Statt Forschungs- und Redefreiheit herrscht Gehorsams- und Stillschweigezwang. Das Verhältnis von Glaube und Wissen war immer umstritten. Unter Johannes Paul II. wird es unerträglich. Bisher war den Katholiken klar, daß sie verpflichtet sind, die unfehlbaren Lehräußerungen des Papstes zu akzeptieren. Johannes Paul II. aber hat persönlich dafür gesorgt, daß 1983 in die Neufassung des CIC (Codex Juris Canonici, das kirchliche Gesetzbuch) ein neuer Strafparagraph aufgenommen wurde. Es handelt sich um den Canon 1371: Mit einer „gerechten Strafe“ soll belegt werden, wer die nicht unfehlbaren Lehräußerungen des Papstes in Glaubens- und Sittenfragen ablehnt. Man ist vielmehr verpflichtet, sie mit „religiösem Verstandes- und Willensgehorsam“ zu akzeptieren.

In einer normalen Diktatur darf man nicht sagen, was man denkt und was man will. Aber in der Kirche muß man denken und wollen, was man nicht denkt und nicht will, und zwar in Dingen, die der Papst selbst nicht als endgültig verpflichtend verkünden wollte. Wer das nicht tut, wird seit Johannes Paul II. kirchen- strafrechtlich belangt. Der Totalitätsrausch der Päpste hat sich zu einem geistlichen Delirium gesteigert. Es handelt sich nicht mehr nur um Gehirnwäsche, sondern um Gehirnamputation, um Gehirntotaloperation. Am 24. Mai 1990 veröffentlichte die Kongregation für die Glaubenslehre eine „Instruktion über die kirchliche Berufung der Theologen (auf theologische Lehrstühle)“. Außer dem erwähnten „religiösen Verstandes- und Willensgehorsam“ auch gegenüber den nicht unfehlbaren Lehren des Lehramtes wird von den Theologen verlangt, daß sie alle öffentlichen Medien meiden (Nr. 30). Wer also zum Beispiel im Fernsehen oder der Presse Fragen an die Kirche stellt, der setzt seine Lehrbefugnis aufs Spiel, beziehungsweise der wird erst gar nicht an eine Universität berufen.

Eugen Drewermann hat es gewagt, die zunehmende kirchliche Diktatur öffentlich anzuprangern und für einen menschlicheren Umgang der Kirche mit den Menschen zu plädieren. Die „gerechte Strafe“ dafür soll ihn nun treffen. Das Ansehen der Theologen an den Universitäten in Deutschland hat Schaden genommen. Es sinkt unter Johannes Paul II. beständig. Von dem, der keine Fragen stellen darf, erwartet keiner mehr eine Antwort. Die Gläubigen hören fast nur noch auf das Wort derjenigen, die bereits von ihren Lehrstühlen vertrieben wurden oder die in Gefahr sind, ihre Lehrerlaubnis zu verlieren. Denn ansonsten führen an Deutschlands Universitäten die Theologen eine Maulkorb-Existenz. Uta Ranke-Heinemann

Die Autorin lehrt (kirchenunabhängiger Lehrstuhl) Religionsgeschichte an der Universität Essen