INTERVIEW
: „Das eigentliche Problem ist die Einwanderung“

■ Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) nach den Ereignissen von Hoyerswerda

taz : Wie bewerten Sie die tagelangen Gewaltakte gegen AusländerInnen in Hoyerswerda?

Kurt Biedenkopf: Wir verurteilen diese Gewaltakte. Wir verurteilen sowohl die randalierenden Jugendlichen als auch die Bevölkerung, die ihnen als Resonanzboden gedient hat. Wir haben uns alle Mühe gegeben, um die Dinge zunächst einmal mit polizeilichen Mitteln in Ordnung zu bringen. Außerdem haben wir überprüft, ob die Unterbringung der Asylanten in diesem Neubaugebiet richtig war, ob man dort ihre Sicherheit ausreichend schützen kann, und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß das nicht der Fall ist. Aber wir sind uns auch darüber im klaren, daß damit das Problem nicht gelöst ist.

Welche Ursachen sehen Sie, daß die Gewalt derart eskalieren konnte?

Eine ganze Reihe von Ursachen. Einmal, die Menschen sind mit dem Zusammenleben mit Ausländern, Menschen aus anderen Kulturen nicht vertraut. Sie haben unter dem SED-Regime keinerlei Erfahrung damit sammeln können. Deshalb konnten sie auch das nicht leisten, was wir im Westen Deutschlands in den vergangenen dreißig Jahren gelernt haben, nämlich Toleranz. Zweitens, die Situation in Hoyerswerda ist für die Menschen dort besonders schwierig. Eine große Zahl von Arbeitslosen, das Zurückverwiesensein auf eine Stadt, die zum Teil eine künstliche Stadt ist, kaum eine soziale Infrastruktur hat und die die Menschen ohnehin schon in ihrer aussichtslosen Lage fordert, viele offenbar auch überfordert. Junge Menschen sind zum Teil durch den Umbruch entwurzelt, ihnen fehlt jedes soziale Bezugsfeld.

Wie erklären Sie sich die nicht nur in Hoyerswerda offensichtliche, breite gesellschaftliche Akzeptanz rechtsradikal motivierter Gewalt?

Sie zeigt sich ja leider Gottes überall in Deutschland, keineswegs nur im Freistaat Sachsen. In Brandenburg, in Freiburg, in Hannover, überall waren am Wochenende solche Auseinandersetzungen. Eine Ursache sehe ich darin, daß wir uns zuwenig um die Heranbildung der Fähigkeit zur Toleranz bemüht haben, in ganz Deutschland. Eine weitere Ursache sehe ich in der Angst vieler Menschen, daß die Zuwanderung nach Deutschland außer Kontrolle geraten könnte, daß vor allem durch die Öffnung nach Ost- und Südosteuropa Hunderttausende Menschen zu uns kommen könnten. Dazu kommt die Angst vieler Menschen, daß die Zuwanderung sie selbst in ihren Chancen beeinträchtigen könnte. Hier ist viel Verführung im Spiel.

Ist es nicht so, daß diese Angst und diese Verführung durch die politisch angeheizte Asyldiskussion erst entfacht wurde?

Sie ist dadurch sicher verstärkt worden. Zumal die Asyldiskussion das eigentliche Problem gar nicht trifft. Das eigentliche Problem ist die Einwanderung, die ja weit über das hinausgeht, was wir im Grundgesetz allen Menschen versprochen haben. Und diese ungeklärte Lage hat zusätzlich zu Verunsicherung und Angst beigetragen. Deshalb ist auch die schnelle Klärung der generellen politischen Haltung unseres Landes und auch der EG in bezug auf die Einwanderung dringend geboten.

Bundesinnenminister Schäuble hat Bund und Länder aufgefordert, in der Asyldebatte schnell zu einem Ende zu kommen. Welche politischen Lösungen könnten Sie sich an diesem „schnellen Ende“ vorstellen?

Ich hoffe sehr, daß wir jetzt unter dem Eindruck dieser schlimmen Exzesse die Dringlichkeit brauchbarer Entscheidungen besser begreifen, als das in der Vergangenheit der Fall war, und wir aufhören, uns an dem Thema Asyl und Einwanderung parteipolitisch zu profilieren. Ich glaube, daß es viel einfacher wäre, auch solche extremen Grenzsituationen wie in Hoyerswerda unter Kontrolle zu bringen, auch mit der Autorität des Staates, wenn wir unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern gleichzeitig Auskunft darüber geben könnten, wie es weitergeht.

Noch einmal zu Hoyerswerda. Die Polizei- Einsatzleitung hat das lange Schweigen der Politiker als „unverantwortlich“ kritisiert.

Ja, die Polizei hat sich über die kommunalpolitische Verweigerung geäußert. Das werden wir noch mit den Verantwortlichen zu klären haben. Ich möchte keine Urteile fällen, ehe ich Gelegenheit hatte, mit ihnen zu reden.

Wird sich das Kabinett noch mit den Ereignissen befassen?

Ja, selbstverständlich. Interview: Detlef Krell