Darf Michael zu Hause sterben?

■ Aids-Expertin Rademacher soll über die Notwendigkeit der 24-Stunden-Pflege entscheiden

Tiergarten. Die Entscheidung zur Halbierung der Rund-um-die-Uhr- Pflege des Aids-kranken Michael hat Sozialstadtrat Dieter Ernst vorläufig ausgesetzt. Ob in Zukunft eine qualifizierte 24-Stunden-Pflege bei Michael aus amtlicher Sicht notwendig ist, soll ein Gutachten der Aids-Expertin des Gesundheitsamtes Tiergarten, Frau Marianne Rademacher, klären. Die hat Michael gestern besucht. »Ich will zu Hause bei meinen Freunden sterben«, hat Michael noch am Freitag zu einem der Pfleger vom Aids-Team der Arbeiterwohlfahrt Charlottenburg gesagt. Heute kann er kaum noch reden. Seinen linken Unterarm hält er aufgestützt, daran hängt eine Infusion.

Als die Ärztin in Begleitung eines Sozialarbeiters eintrifft, wird Michael gerade von seiner linken auf die rechte Seite gelegt. Das ist alle zwei Stunden erforderlich. Allein bewegen kann er sich nicht. Er wiegt nur noch knappe 40 Kilo. Das Atmen fällt ihm schwer, seine Lunge ist von Pilzen befallen.

Wie nach der medizinischen Untersuchung zu erfahren war, wird die Ärztin einer Fortführung der 24-Stunden-Betreuung wohl zustimmen, und zwar durch qualifizierte Kräfte. Durch falsches Liegen können bei dem stark abgemagerten Menschen schnell offene, eiternde Wunden entstehen. Auch dürfen die ständig laufenden Infusionen nur von sachkundigem Personal angelegt werden, der Urinkatheder muß versorgt werden, und vor allem muß regelmäßig der Schleim aus den Atemwegen gesaugt werden. Ansonsten kann Michael daran ersticken.

Wie Sozialstadtrat Dieter Ernst in einem Gespräch bereits vorher in Aussicht stellte, wird der Finanzierung einer 24stündigen Krankenpflege für den Fall zustimmen, daß diese aus medizinischer Sicht notwendig ist. Überhaupt seien die Kürzungspläne erst nach Rücksprache mit der behandelnden Ärztin entstanden. Die habe dem zugestimmt. Jetzt ist sie in Urlaub.

Michael darf nach den Worten von Ernst keinen Nachteil davon haben, daß an seinem Fall grundsätzliche Probleme bei der Finanzierung zu Tage getreten seien. Es sei der erste derartige Fall für das Sozialamt Tiergarten, doch sei ja aufgrund der hohen Infektionszahlen für HIV in Zukunft mit weiteren zu rechnen, und Lösungen müßten gefunden werden. Bei der derzeitigen Regelung sei eine 24-Stunden-Pflege in der Wohnung eines Patienten für das Sozialamt wesentlich teurer als die Abrechnung von Krankenhaus-Tagessätzen. Trotzdem hält Ernst das Krankenhaus vom Grundsatz her in solchen Fällen für eine »schlechte Lösung«. »Die Patienten sollten möglichst die Chance haben, zu Hause zu bleiben«, findet Ernst. Das gelte nicht nur für Aids-Patienten, sondern auch für alte Leute, die häufig abgeschoben würden. Knut Janßen