Alle Ostler sind irgendwie Behinderte

■ Zehn-Prozent-Klausel erschwert das Genehmigungsverfahren von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Ostteil Berlins/ Von 29.400 geplanten zauberhaften ABM-Stellen in Ost-Berlin erst 14.800 besetzt

Mitte. Das Geld für ABM ist alle, von für Ost-Berlin geplanten 29.400 sind erst 14.800 Stellen besetzt. Eine zusätzliche »Zehn-Prozent-Klausel« im Modus der Finanzierung der Stellen erschwert unter anderem das Genehmigungs- und Antragsverfahren. Wenn's ums Geld geht, hört die Freundschaft auf. So gilt, allen anderen Annahmen zum Trotz, für alle nach dem 31. August eingereichten Anträge: 90 Prozent zahlt das Arbeitsamt, 10 Prozent der Arbeitgeber. Ein etwaiger Verzicht des Arbeitsnehmers auf die ihm rechtlich zustehenden und vom Arbeitgeber zu zahlenden 10 Prozent, um wenigstens eine Stelle zu bekommen, ist nicht möglich, erfuhr die taz aus dem Landesarbeitsamt Brandenburg/Berlin.

Die vorübergehend gültige Sonderregelung, die vom Arbeitsamt zu 100 Prozent finanzierte ABM-Stelle, kann nur noch in Sonderfällen in Anspruch genommen werden. Die in den Genuß kommen und das Glück haben, zu 100 Prozent vom Arbeitsamt finanziert zu werden, sind Langzeitarbeitslose, Jugendliche unter 25, Alleinerziehende, Frauen, Behinderte, Arbeitnehmer über 50 Jahre. Wenn in einem angedachten Projekt mehr als die Hälfte der ABM- Berechtigten diese Kategorie erfüllt, tritt die oben erwähnte Kann-Bestimmung ebenfalls in Kraft. Bei einem Zweier-Projekt müßten beide zumindest behindert sein, um die Hürde ABM zu nehmen.

Auf Arbeitgeberseite, die im soziokulturellen Bereich angesiedelt sind und nicht finanzkräftigen Rückhalt haben, wird automatisch mit dieser Regelung die Hemmschwelle für ABM-Stellen hochgesetzt.

Aus diesen und anderen Gründen ist die Verfahrensweise der »Umverteilung« auch in der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg umstritten. Die »neuen« Länder-Chefs haben an Kohl und Blüm geschrieben, damit Kanzler und Arbeitsminister die Geschichte noch einmal überdenken.

Etwas Erfreuliches gibt es für »bestimmte benachteiligte Bedienstete«, die oben erwähnten »Zielgruppen« angehören und aus der Warteschleife heraus niemals wieder auf dem Arbeitsmarkt gelandet sind. Sie sollen laut Senatsbeschluß bei der Neubesetzung von Stellen bevorzugt berücksichtigt werden. Innensenator Heckelmann hat ein entsprechendes Rundschreiben an alle Berliner Dienstbehörden losgejagt, die Betroffenen müßten sich selbst »bei den für die Abwicklung zuständigen Stellen melden«.

Die Angst vor dem Horror vacui: Schwärzer sieht es nach endgültigem Ablaufen der Kurzarbeiterregelung am Jahresende 1991 aus, befürchtet die Deutsche Angestellten Gewerkschaft DAG. Dann drohe Berlin und Brandenburg eine Welle von Arbeitslosigket, die 50.000 bis 60.000 Arbeitnehmer betreffen würde. Die Zahl der Arbeitslosen von über 90.000 im Westteil von Berlin dürfte nach DAG-Prognosen zum Herbst ansteigen. abc