Eine Kugel für Papa

■ „In Sachen Henry“ — Harrison Ford knietief im Schmalz

Leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen“, wurde uns früher immer erzählt, wenn wir uns danebenbenommen hatten. Bei Rechtsanwalt Henry Turner (Harrison Ford) wäre das alte Hausmittel zu schwach: bei ihm hilft nur noch eine Kugel. Die bekommt er auch, und zwar mitten in den Schädel.

Mike Nichols' neuer Film In Sachen Henry beginnt wie ein typischer Courtroom-Thriller. Erste Szene: Gerichtssaal innen. Viel altes Holz, Advokaten in maßgeschneiderten Anzügen. Henry Turner gewinnt gerade einen Prozeß: Die Schadensersatzklage eines falsch behandelten Rentners gegen ein Krankenhaus wird zugunsten der Versicherung abgewiesen. Auch privat ist Turner ein eiskalter Erfolgsmensch; seine Frau Sarah (Annette Bening) behandelt er mies, und mit seiner kleinen Tochter Rachel (Mikki Allen) weiß er absolut nichts anzufangen. Der Zuschauer stutzt: Harrison Ford als Bad Boy — eine mutige Besetzung. Mike Nichols darf sich das erlauben, schließlich hat er das gleiche schon erfolgreich bei Richard Burton und Liz Taylor in Wer hat Angst vor Virginia Woolf? vorexerziert. Doch dann geht Henry Zigaretten holen, und alles wird anders. Der Staradvokat gerät in einen Raubüberfall und bekommt das oben erwähnte Geschoß verpaßt. Die Kugel bringt ihn zwar nicht um, löscht aber seinen gesamten Memory-Speicher. Totaler Gedächtnisschwund. Henrys Auferstehung geht nicht ohne rührselige Komplikationen ab. Der schlitzohrige Anwalt ist auf das geistige Niveau eines Dreijährigen heruntergesunken, erkennt weder Freunde noch Familie und guckt trauriger aus der Wäsche als Columbos Hund. Harrison Ford spielt diese Behinderung nicht mal schlecht, aber gegen das Drehbuch des 23jährigen Jeffrey Abrams hat er keine Chance. Als man ihm mühsam wieder Laufen und Sprechen beigebracht hat und ihn, scheu und verstört, wieder nach Hause schleppt, steckt die Geschichte schon knietief im Schmalz.

Jetzt geht's um große Gefühle. Und dazu um die platte Neuigkeit, daß Geld, Karriere und Luxuswohnung überhaupt nicht wichtig sind im Leben. Das Glück liegt einzig und allein in Ehe und Familie. Und so liebt der wiedergeborene Henry zahm drauflos. Er liebt seine Frau, die er vor seinem Kopfschuß eigentlich verlassen wollte, er liebt Dienstboten und Krankenpfleger, und er liebt seine Tochter, die zu Anfang noch ihren eigenen Kopf hatte, nun aber auch ganz heftig Papa zurückliebt. Henry kauft sogar einen jungen Beagle; eine richtige Familie braucht nun mal einen netten Hund. Nur seine Ex-Geliebte und seine früheren Kollegen liebt Henry nicht mehr; mit der kalten Yuppie-Welt will er nichts mehr zu tun haben.

Merke: Wenn's mit Papas Liebesfähigkeit hapert, verpaß ihm eine Kugel. Ein Film für Familienberater. Karl Wegmann

Mike Nichols: In Sachen Henry . Mit Harrison Ford, Annette Bening, Mikki Allen u.a., USA 1991, 107 Min.