DEBATTE
: Verantwortung ja, Strafe nein!

■ Den feministisch-katholischen Fundamentalismus überwinden

Heute findet im Deutschen Bundestag die erste Lesung eines neuen gesamtdeutschen Gesetzes zum Schwangerschaftsabbruch statt. Viele Jahre schien gesichert, daß eine Abtreibungsregelung, die hinter die jetzige zurückfällt, keine Mehrheit finden kann — auch nicht innerhalb der CDU. Das kann sich mit der Einigung der CDU/CSU-Fraktion auf einen Zwei-Indikationen-Vorschlag mit Entscheidungsgewalt des Arztes ändern.

Darin drückt sich nun aber keineswegs ein Rechtsruck der Republik aus. Das neue Kräfteverhältnis in der Paragraph-218-Frage ist hauptsächlich in Fehlern der Frauenbewegung begründet, die zu einer unguten Offensive katholisch-kriminologischer Politik geführt haben. Überkommener Feminismus und Katholizismus blockieren sich nun gegenseitig und drohen zu einer rein technokratischen Scheinlösung im jahrzehntealten Streit um den Paragraphen 218 zu führen. Die Blockade läßt bisher nicht zu, daß eine gesellschaftliche Mehrheit in der Abtreibungsfrage parlamentarisch widergespiegelt wird. Unserer Ansicht nach könnte folgende Position eine gesellschaftliche Mehrheit finden:

1.Abtreibung — egal zu welchem Zeitpunkt der Schwangerschaft — ist die Tötung werdenden menschlichen Lebens. Es bedarf sehr gewichtiger Gründe, wenn sie trotzdem durchgeführt werden soll.

2.Über diese Gründe entscheidet letztlich die Frau und nicht Ärzte, Richter, Theologen. Eine Bestrafung findet nicht statt.

Dafür sprechen gute Gründe:

Im Konflikt über die Abtreibung treffen die dominanten Pole härter denn je aufeinander. Auf der einen Seite CDU und CSU, die mit ihrem Vorschlag keinen Zweifel mehr daran lassen, daß der Konflikt zwischen den Lebensbedürfnissen der Frau und dem Leben des Kindes ausschließlich durch Herrschaft über die Frau auflösbar ist, konkret: durch die Entscheidungsgewalt des Arztes, der so zum moralischen Prokuristen des Staates wird. Demgegenüber steht eine vom überkommenen Feminismus beeinflußte Position. Sie versucht, die Tötungsdimension zu negieren, und setzt sich ein für ein Selbstbestimmungsrecht der Frau ohne Verantwortlichkeit dem anderen Leben gegenüber. Die einen übersetzen Verantwortung mit Staatsgewalt, die anderen ersetzen sie durch das abgeschottete und ins Absolute gesteigerte Selbstbestimmungsrecht.

Schon längst überfällig ist darum ein dritter Weg, der weder auf moralisches Monadentum der Frau setzt noch ihre Beherrschung durch andere akzeptiert. Damit würde das konservative Motiv des Respekts und der Ehrfurcht vor dem werdenden menschlichen Leben mit dem emanzipativen Motiv der Freiheit der Frau von männlicher Herrschaft verbunden.

Scheinbar unzertrennlich ist die Abtreibungsproblematik mit der Frage nach dem Beginn des Lebens verbunden; besonders wenn von Fristen die Rede ist. Der Beginn des Lebens entzieht sich jedoch fein säuberlich gestuften Definitionen. Ein eindeutiger Einschnitt ist nur die erste Zellteilung. Alle definitorischen Lösungen danach sind willkürlich. Mit dem werdenden Leben hat eine Frist rein gar nichts zu tun. Die Lebensfähigkeit des Embryos/Fötus außerhalb des Mutterleibes als Kriterium ist mit dem erfolgreichen Einsatz der Petrischale hinfällig geworden. Der Maßstab der Schmerzempfindlichkeit hat mit der Leistungsfähigkeit elektronischer Sensoren mehr zu tun als mit den Schmerzen eines Embryos. Eine Fristenlösung befriedigt also nur die Notwendigkeiten knapper Mehrheiten in Parlamenten und Verfassungsgerichten. Ebenfalls unhaltbar ist die Theorie des Zellklumpens, der ohne ethnische Kümmernis wie ein Krebsgeschwür allzeit entfernbar ist.

Die Frage nach dem Beginn des Lebens kann nicht je nach politischer Einstellung nach hinten verschoben werden. Ist die Abtreibung also nichts anderes als der strafrechtlich zu ahndende Fall der fahrlässigen Tötung? Die Lage ist anders. Denn hier — und nur hier — ist der strafrechtliche Schutz des ungeborenen Lebens vor der Mutter nur möglich durch Herrschaft über die Mutter. Abtreibung kann darum nur eine Gewissensentscheidung der Frau sein. Und daß solche sich objektiver Nachprüfbarkeit entziehen, haben jahrzehntelange Zwangsstudien an Kriegsdienstverweigerern unzweifelhaft erwiesen.

Wir können und müssen entscheiden, ob es richtig ist, den nächsten Schritt in Richtung Machbarkeit zu gehen und die Manipulation am werdenden Leben bis zur Geburt zu verlängern. Das gilt sowohl für die genetische Zurichtung als auch für die Abtreibung. Ein gesellschaftlicher Diskurs darüber ist unabdingbar, wird aber im Moment von den Polen her verhindert. Diskursfreiheit heißt aber auch Freiheit vor dem Staatsanwalt. Jede strafrechtliche Verfolgung von Abtreibung hat auf deren Zahl keinen nennenswerten, auf die Modalitäten von Abtreibung einen negativen, auf den Diskurs aber einen verheerenden Einfluß.

Im speziellen Fall der Abtreibung muß die Justiz aus den genannten Gründen auf strafrechtliche Verfolgung verzichten. Gleichzeitig muß jedoch deutlich werden, daß es sich um Tötung handelt, das heißt um etwas in der Regel gesellschaftlich Unerwünschtes. Unser Vorschlag ist deshalb weder eine Fristenlösung noch die Streichung des Paragraphen 218, sondern seine Ausfüllung durch den Satz: „Die Tötung werdenden Lebens als Entscheidung der Frau wird nicht geahndet.“

Bislang haben wir uns im Zweifel bereits in der Diskussion auf die Seite der Frauenbewegung geschlagen, um die bessere unter den schlechten politischen Lösungen zu unterstützen. Aber richtiges Abstimmen reicht nicht mehr. Es ist an der Zeit, die Unterwerfung unter den femo- katholischen Diskurs zu beenden.

Gutgestellte Paare etwa, die ihre Familienplanung nach zwei Kindern für abgeschlossen erklären und dies als hinreichenden Indikationsgrund betrachten, huldigen damit stellvertretend für viele einem Bild von Emanzipation, das nichts anderes will als höher, schneller, weiter, bequemer. Dabei ignoriert dieses Denken nicht nur die Verantwortung werdendem Leben gegenüber, sondern ist de facto frauenfeindlich. Es degradiert den weiblichen Körper zur Maschine. Ihm geht es um schnelle und einfache Lösungen, ohne die langfristigen Nebenfolgen — nicht zuletzt für die Frauen selbst — überhaupt noch in den Blick zu nehmen. Weniger extrem, aber leider doch in dieselbe Richtung, geht das fraglose Hochjubeln des Singletums von Frauen z.B. in der September-'Emma‘. In beidem spiegelt sich ein Machbarkeitswahn, wie er anders auch nicht in den radikalen Modernisierungsfraktionen CDU und SPD zu finden ist. So werden eigene Wohnung und das Auto einer Frau zum unverzichtbaren Emanzipationsvehikel und Abtreibung zum Instrument quadratisch-praktischer Lebensplanung.

Die drängenden Zukunftsfragen, die sich um das Verhältnis von Mensch und Natur drehen, finden in diesem Feminismus keinen Ausdruck, ja er legitimiert im Zeichen der Emanzipation die zerstörerische Selbstbeschleunigung unserer Gesellschaft. Damit blockiert der überkommene Feminismus die Fähigkeit, aus dem Blickwinkel von Fraueninteressen Antworten auf die entscheidenden Fragen der Zukunft zu geben. Und er vergibt heute die Chance, die Freiheit der Frau vor Strafe durchzusetzen. Vera Grün/Bernd Ulrich

Die AutorInnen arbeiten als freie JournalistInnen in Köln