Markus Wolf in Untersuchungshaft

■ Bundesgerichtshof lehnt Haftverschonung für den einstigen Meisterspion der DDR ab/ Haftbefehl wurde ausgeweitet/ Rechtsstreit unter Juristen um die mögliche Strafverfolgung von Markus Wolf

Berlin (taz) — Die Freiheit währte nur kurz für den einstigen DDR-Meisterspion Markus Wolf. Nachdem ihn der Ermittlungsrichter beim Karlsruher Bundesgerichtshof mangels Fluchtgefahr und gegen eine Kaution von 50.000 Mark auf freien Fuß gesetzt hatte, revidierte nur neunzig Minuten später der 3. Strafsenat der Karlsruher Behörde nach einer Beschwerde der Bundesanwaltschaft das Votum des Richterkollegen. „Mischa“ Wolf wanderte Dienstag nacht in Untersuchungshaft. Ob Markus Wolf nun die ganze Zeit bis zu seinem Prozeßbeginn in Haft verbringen muß, soll in den kommenden zwei Wochen entschieden werden. So lange werde es dauern, sagte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft, bis die Karlsruher Richter — es sind die gleichen, die die Haftverschonung aufhoben — endgültig über den Vollzug des Haftbefehls entscheiden.

Dienstag abend erweiterte der Ermittlungsrichter nach sechsstündiger Vernehmung den Haftbefehl vom 20. Juni 1989, worin dem früheren Herrn über die Ost-Spione geheimdienstliche Tätigkeit in einem besonders schweren Fall vorgeworfen wird. Jetzt soll sich Wolf auch wegen Bestechung verantworten müssen. Zur Begründung werden die Zahlungen von Agentenlohn an westdeutsche Beamte angeführt. Eine Ausdehnung des Haftbefehls auf den Vorwurf des Landesverrats, wie es die Bundesanwaltschaft beantragt hatte, lehnte der Ermittlungsrichter aber ab.

Der grauen Eminenz der Spionage sprang gestern der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen, Klaus Hahnzog, zur Seite. Markus Wolf müsse wenigstens solange ein freier Mann bleiben, wie ungeklärt ist, ob seine Spionage überhaupt geahndet werden könne. Weil diese Frage auch nicht nur Wolf betreffe, müsse das Bundesverfassungsgericht nun diese Frage schnellstmöglich entscheiden. Ein „gravierendes Argument“ ist für ihn, daß die zeitgleich von der Bundesrepublik gegen die DDR gerichtete Spionage nicht verfolgt werde. Gregor Gysi, Chef der PDS, urteilte in einen Interview des 'Neuen Deutschlands‘: „Es ist Ausdruck von Siegerjustiz und Siegermentalität, wenn jetzt die Spione der einen Seite befördert und die der anderen vor Gericht gestellt werden.“ Auch der Vorsitzende des Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein, Wolfgang Wieland, nutzte die griffige Formel „Siegerjustiz“. Für ihn wäre „es nur gerecht, bei dieser Gelegenheit auch Bundesjustizminister Klaus Kinkel gleich mit festzunehmen, da er auf altbundesrepublikanischer Seite für den Bundesnachrichtendienst das gleiche tat wie Markus Wolf in DDR-Zusammenhängen“.

Der SPD-Fraktionsvize Wilfried Penner neigte dazu, „daß Außenspionage aus vertretbaren Gründen in diesem Fall straffrei gestellt werden sollte“. Dies solle aber nicht für Verstöße nach allgemeinem Strafrecht gelten. Auch Martin Hirsch, früher Richter am Bundesverfassungsgericht, meinte, wegen seiner nachrichtendienstlichen Arbeit könne Wolf nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Im Gegensatz dazu verlangte der ehemalige DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel kategorisch, Wolf solle für seine Straftaten büßen. Als Speerspitze des Proletariats protestierte gestern in Berlin die „Spartakist-Arbeiterpartei“ vor dem Gerichtsgebäude in der Witzlebensstraße. Das „Hände weg von Wolf, den Mauerschützen und Honecker“ kombinierten sie mit einem „Hoch die heroischen Sowjetspione“. Wolfgang Gast