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INTERVIEW„Wir werden nicht zwischen größerem und kleinerem Übel herumtaktieren“

■ Barbara Ritter von der bundesweiten Koordination des Bündnisses gegen den Paragraphen 218 kündigt außerparlamentarische Aktionen zur Unterstützung ihrer Forderungen an

taz: Mit der ersten Lesung der sechs Entwürfe geht die Debatte um ein neues Abtreibungsgesetz in die entscheidende Etappe. Wie wird sie das bundesweite Bündnis gegen den § 218 begleiten?

Barbara Ritter: Wir sind zunächst froh, daß unsere Forderungen zum erstenmal im Parlament vertreten sind — und gleich mit zwei Entwürfen. Zwar werden sie von den bürgerlichen Medien meist verschwiegen, aber Christina Schenk vom Bündnis 90/Grüne und Petra Bläss von der PDS/Linke Liste haben ihre Entwürfe keineswegs zurückgezogen. Und wir werden sie unterstützen durch außerparlamentarische Aktionen. Beispielsweise durch eine bundesweite Demonstration am 19. Oktober in Karlsruhe. Anlaß ist nicht nur die jetzt beginnende Debatte im Parlament, sondern auch die Entscheidung des Bundesgerichtshof zum bayerischen Theissen-Urteil.

Unter welchem Motto steht die Demo?

Wir wollen dort drei Punkte vertreten: erstens, daß kein Gericht mit der Abtreibungsfrage etwas zu tun haben darf — weder durch Strafandrohung noch durch Überprüfung von Indikationen. Wir sind also für die ersatzlose Streichung des Paragraphen 218, und zwar nicht nur aus dem Strafgesetzbuch. Wir sind gegen jegliche Strafandrohung, auch in einem Schwangerenhilfegesetz. Zweitens wenden wir uns gegen Zwangsberatung. Theissen (das Memmingen-Urteil; die Red.) ist nicht zuletzt auch wegen fehlender Beratungsscheine verurteilt worden. Man hat ihm vorgehalten, er habe die betroffenen Frauen kriminalisiert, da sie mit Beratungsschein straflos davon gekommen wären. Was der Frauenbewegung im Moment als „realpolitischer Kompromiß“ angedient wird, nämlich Fristenregelung mit Beratungszwang, wird genau solche Prozesse zukünftig nicht verhindern. Drittens wollen wir die scheinheilige „Lebensschutz“-Kampagne angreifen.

Beim momentanen parlamentarischen Kräfteverhältnis stehen die Chancen für euch äußerst schlecht. Ist es da nicht besser, von den Maximalforderungen abzurücken?

Von diesem Parlament erwarten wir uns auch nichts. Aber es entbehrte jeglicher Grundlage, wenn wir jetzt als außerparlamentarische Kraft zwischen größerem und kleineren Übel herumtaktieren würden.

Nein, aber die Frage ist, ob die Anti-218-Gruppen nicht auch eine gewisse „realpolitische“ Verantwortung haben. Immerhin steht uns das Wasser bis zum Hals. Wir müssen sogar damit rechnen, daß der 218 noch verschärft wird. Ist es da nicht sinnvoller, einen Kompromiß in Richtung Fristenlösung wenigstens anzudenken?

So wie man uns als Anti-218-Gruppen nicht für eine mögliche Verschärfung der Indikationsregelung verantwortlich machen kann, sowenig möchten wir selbst für eine Fristenregelung mit Zwangsberatung verantwortlich sein. Ich wüßte nicht, welche Verbesserung darin liegen soll. Für die Frauen aus dem Osten wäre es eine klare Verschärfung, und eine Verbesserung im Westen wäre es nur in den CDU-regierten Ländern im Süden der Republik. Allerdings nur auf dem Papier. In der Praxis würde sich da auch nichts ändern. Wenn wir nicht ganz scharf gegen diese mit Zwangsberatung verbundene Lebensschutzideologie angehen, wird das zu einem gesellschaftlichen Klima führen, in dem Schwangerschaftsabbrüche immer schwerer gemacht werden, selbst bei Straffreiheit für eine gewisse Frist.

Und wie angehen? Entschieden wird im Bundestag, und eure Demonstrationen werden auf die „Gewissens“entscheidung der Abgeordneten wohl kaum großen Einfluß haben...

Haben die denn überhaupt ein Gewissen? Wir gehen trotzdem weiterhin auf die Straße, um deutlich zu machen, daß wir unsere Meinung nicht unterbuttern lassen. Vor kurzem kam bei einer 'Spiegel‘-Umfrage heraus, daß die Forderung nach der uneingeschränkten Entscheidungsfreiheit der Frau immer noch von einer großen Minderheit unterstützt wird. Und ich finde, eure Zeitung sollte das auch tun, anstatt von uns zu erwarten, daß wir ausgerechnet in einer Situation, in der unsere Forderungen endlich im Parlament vertreten werden, die Segel streichen. Interview: Ulrike Helwerth

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