Tag der offenen Schotten

■ Am Weltschiffahrtstag: Eine Stippvisite auf dem Schulschiff Deutschland

Die „Deutschland“, ein Schulschiff zum Simulieren von SeefahrtFoto: Tristan Vankann

Wahrscheinlich hat es wieder kein Schwein gemerkt: Gestern war Weltschiffahrtstag. Die taz nahm das Ereignis zum Vorwand, an Bord des „Schulschiffs Deutschland“ nach maritimer Luft zu suchen.

Wer sich unter „Schulschiff“ einen Großsegler auf den Weltmeeren vorstellt, in dessen Wanten breitschultrige Jungmänner toben, ist von gestern. Das „Schulschiff Deutschland“ ist eine zweckmäßige Einrichtung, deren Romantik in dem Maße geschrumpft ist, wie der Job auf See ernüchternder wurde. Reduzierte Schiffsbesatzung, jede Menge Überstunden, kürzeste Liegezeiten in Häfen: Für Rum und Seemannsgarn bleibt nicht viel Platz.

Das Dreimastvollschiff im Hohentorshafen, 1927 als Schulschiff gebaut, 86 Meter lang, 52 Meter hoch und in seinen besten Tagen mit 1900 qm Lappen am

hierhin bitte das

Foto von dem Segelschiff

Wind, ist heute eine Internats-Berufsschule. Sie bildet in Blöcken aus, was früher einmal „Matrose“ hieß und heute „Schiffsmechaniker“, In diesem einen Berufsbild sind, aus Rationalisierungsgründen, die „Bilgenkrebse“ und die „Polleraffen“, d.h. die Leute an der Maschine und die auf Deck, zusammengefaßt worden.

Was rein äußerlich als schmucker Windjammer erscheint, dümpelt nicht einmal mehr: Selbst bei Sturm ist die Schiffsbewegung minimal. Der Kiel ist mit Beton ausgegossen, zwecks Geräumigkeit unter Deck wurden Verstrebungen und Schotten entfernt, und die Takelage existiert praktisch nicht mehr. Die herumhängenden Tampen (=Seile zur Bedienung der Segel etc.) machen, obwohl immer noch verwirrend zahlreich, gerade 20 Prozent des früheren „laufenden Guts“ aus.

Beim großen Umbau vor vier Jahren (Hauptsponsor Beck's flattert seitdem im Mast) wurden auch die Massenschlafsäle mit Hängematten entfernt: Jetzt gibt es winzige Zweibettzimmer mit einem Bullauge. 80 Leute haben Platz, doch die Krise in der deutschen Schiffahrt schlägt sich auch hier nieder: Im Moment drücken 36 SchülerInnen (16-27 Jahre)

hier die Schulbank. Sie lernen von Kapitänen und Landlehrern auch Deutsch, Mathe und Politik, in erster Linie aber Brandabwehr und Bohren, Pullen und Fräsen, Ladungs- und Motorenkunde. Übungsdiesel stehen an Deck, in Kielnähe ist eine Metallwerkstatt eingerichtet.

Den alten Charme des Vollschiffs mit Messing und Mahagoni findet man noch im Bereich der Offiziersmesse, wo auch heute noch die sieben Lehrkräfte separat speisen. Die „Schiffsvolk“-Messe hat den Charme einer deutschen Jugendherberge und riecht nach Putzmittel. „Rein Schiff“ steht übrigens auch auf dem Ausbildungsplan; dazu gehört die „Backschaft“, der Tischdienst, ein Plan hängt überall aus.

Nein, „der Seemann springt nicht mehr von Mast zu Mast“, sagt Schiffsbetriebsmeister Ingo Müller-Fellmett, der früher „Bootmann“ hieß. „Es gibt kein Holz mehr auf Schiffen“, und Segelnähen muß auch keiner mehr können. Eher ist da schon Computerwissen gefragt, besonders für die Arbeit auf Containerschiffen. Doch soweit ist man hier noch nicht. Immerhin hat der Schiffsmechaniker, anders als der vormalige „Matrose“, aufgrund seiner Mechaniker-Kenntnisse auch an Land eine Chance; Müller-Fellmett: „Ehemalige Seeleute findet man bei Beck's am Kessel, in der MVA und bei Jacobs.“

Im Gegensatz zu anderen Berufsschulen herrscht auf dem Schulschiff meist Frieden. Das mag daran liegen, daß die Jungseeleute den Landaufenthalt als Abwechslung genießen. Die Internatsordnung (23.30 Uhr Zapfenstreich) scheint auch erträglich. Noch immer — in alter Seefahrtstradition — ist der Beruf in erster Linie Männersache. Null bis drei Prozent Frauenanteil, so schätzen die Lehrer. Im Moment sind ganze zwei Frauen an Bord. Daß das Schulschiff, das 1943 zuletzt in der Ostsee unterwegs war und nach wechselvoller Geschichte endgültig in Bremen festmachte, noch einmal auf Fahrt geht? Müller-Fellmett hält das, obwohl es immer wieder öffentlich diskutiert wird, für ausgeschlossen: Die Betriebskosten seien siebenstellig, und der Deutsche Lloyd, der Schiffs-TÜV, käme sicher mit einer Riesen- Mängelliste daher. Burkhard Straßmann