Rathaus: »Hoyerswerda ist überall«

■ Abgeordnetendebatte glitt von Betroffenheit in Beliebigkeit ab/ Diepgen nutzte Aussprache zur Diskussion über Asylrecht/ Rangeleien bei Solidaritätsaktion vor der Ausländerbehörde/ Polizisten attackierten einen kurdischen Asylbewerber

Berlin. Hoyerswerda, dieser Name war dem Abgeordneten Wolfgang Wieland von den Grünen Synonym für einen fünftägigen Belagerungszustand, in dem es »nach Kristallnacht roch«. »Hoyerswerda ist überall«, erklärten der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen und Carola von Braun unisono, und die FDP-Vorsitzende präzisierte: »Der Bahnhof Lichtenberg gehört zu Berlin.«

Diese Aussprüche, die in der gestrigen Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses eigentlich die gemeinsame Betroffenheit aller Redner ausdrücken sollten, wurden im Laufe der Debatte zum Zeichen der Beliebigkeit, mit der man sich, je nach parteipolitischem Standort, des Themas annehmen kann. Der Regierende Bürgermeister nutzte die Aktuelle Stunde zu einer grundsätzlichen Aussprache über das Asylrecht. Für ihn sei es »ein wesentliches Grundrecht«. Allerdings, so fragte er einschränkend, »zu welchen Leistungen ist unsere Gesellschaft in der Lage?« »Was können wir tun, damit eine Völkerwanderung des Hungers nicht eintritt?«

Der Abgeordnete Eckard Barthel von der SPD fand eine solche »Fluchtursachendebatte« wenig hilfreich, genausowenig wie die Diskussion übers Asylrecht im Zusammenhang mit den Vorkommnissen in Hoyerswerda. Der Fraktionsvorsitzende seiner Partei, Ditmar Staffelt, stimmte ihm darin zwar zu, was ihn jedoch nicht hinderte, zugleich eine gemeinsame Asylpolitik der Europäischen Gemeinschaft zu fordern. Nach seinen Worten hatte in der sächsischen Kleinstadt der Rechtsstaat kapituliert, diesem hätten die Angriffe der Rechtsradikalen gegolten. Staffelts »Lehre aus Hoyerswerda«: der Rechtsstaat dürfe nicht einbrechen, CDU und SPD sollten für das Gewaltmonopol des Staates streiten.

Die CDU-Abgeordnete Barbara Saß-Viehweger griff diese Anregung auf und forderte eine »Initiative Berlin gegen Gewalt«.

Der Antrag der Grünen, keine Asylbewerber mehr auf die neuen Bundesländer zu verteilen und denen, die es wollen, eine Rückkehr nach Berlin zu ermöglichen, wurde mit den Stimmen der beiden Regierungsfraktionen an die Ausschüsse verwiesen.

Die Solidaritätsaktion für Asylbewerber wurden in Berlin auch gestern fortgesetzt. Unschöne Szenen spielten sich am frühen Morgen vor der Zuweisungsstelle für Asylbewerber am Waterloo-Ufer ab. Eine halbe Hundertschaft von Polizisten drängte die Demonstranten, die gegen die Verschickung der Flüchtlinge in die neuen Bundesländer protestierten, gewaltsam vom Schauplatz ab.

Vorausgegangen war eine kurze Rangelei vor den Türen der Behörde, als Polizisten einen sich heftig wehrenden Asylbewerber mit Püffen in das Büro der Verteilungsstelle stießen. Wie der Mann der taz zurief, sei er Kurde und Mittwoch abend aus Angst vor Schlägern aus Fürstenwalde zurück nach Berlin geflüchtet. Hier wollte er gestern bei einer Flüchtlingsberatungsstelle Widerspruch gegen den ihm zugewiesenen Aufenthaltsort einlegen. Dies sei ihm nicht mehr möglich gewesen, weil die Polizei ihn am frühen Morgen gewaltsam aus der Wohnung von Freunden gezerrt und ihn an das Waterloo-Ufer »verschleppt« habe. Wenige Minuten später mußten die abgedrängten Demonstranten mitansehen, wie der Mann in einen vor der Asylbehörde wartenden Omnibus nach Eisenhüttenstadt verfrachtet wurde.

Wie die Sprecherin des Innensenators mitteilte, hätten gestern 64 Asylbewerber Berlin Richtung Osten verlassen müssen. Tatsächlich stiegen aber nur sechs Personen in den bereitgestellten Bus. 43 Personen erschienen überhaupt nicht am Versammlungsort, und von den restlichen 21 Flüchtlingen unterschrieben 15 an Ort und Stelle einen Antrag auf »aufschiebende Wirkung«. Diese Anträge, die die Verteilung in den Osten für zwei bis sechs Wochen verzögern können, wurden gestern von der »Kontakt- und Beratungsstelle für außereuropäische Flüchtlinge« vor Ort verteilt. Die Aktion soll ab sofort jeden Mittwoch- und Donnerstagmorgen fortgesetzt werden. dr/aku