Der Westen, die Demokratie und die „Konfusion“

Monatelang predigten Frankreich, Belgien und die USA in Afrika Demokratie und rieten in Zaire zum Abtritt des Diktators Mobutu — die jetzige Militärintervention könnte jedoch zum Gegenteil führen/ Mobutu stützt sich auf schlagkräftiges Militär  ■ Von Dominic Johnson

„Man kann Zaire nicht in dieser Konfusion lassen“: dieser Satz, kolportiert aus der französischen Botschaft in Kinshasa, bringt die neue Lage auf den Punkt, die durch die französisch- belgische Militärintervention in dem unruhegeschüttelten zentralafrikanischen Staat geschaffen ist. Ein Zairer vor einer Fernsehkamera in Brüssel wurde deutlicher: „Jetzt stellt sich die Frage, ob unser Schicksal Europa überhaupt berührt.“

Jahrelang sah der Westen tatenlos zu, wie Zaire unter der Herrschaft Mobutus zu einem Land wurde, das nach den Worten der zairischen Bischofskonferenz „vom Kapitalismus die egoistische Raffgier und vom Kommunismus die totalitäre Überwachung“ übernahm. 1960 hieß er noch Joseph Désiré Mobutu und diente in der belgisch-kolonialen Armee „Force Publique“ als Feldwebel. Doch aus den Wirren der Jahre 1960 bis 1963, als der weltweit als antikolonialer Befreier gefeierte Präsident Patrice Lumumba ermordet wurde und der Süden des Landes (Provinz Katanga) sich mit belgischer Hilfe beinahe unabhängig erklärte — verhindert durch eine Militärintervention der UNO — ging er als starker Mann hervor. Mit Billigung des CIA ergriff er 1965 auch formell die Macht. Wenige Jahre später proklamierte er eine „afrikanische Authentizität“: den Namen seines Land änderte er in Zaire, seinen eigenen zu Mobutu Sese Seko.

Seitdem hält Mobutu das Land hauptsächlich mit Hilfe des Militärs zusammen. Er holte Militärberater aus Belgien, Frankreich, den USA, Israel, Ägypten und China ins Land und wandelte die „Force Publique“ zu einer 26.000 Mann starken Volontärarmee namens „Forces Armées Zairoises“ (FAZ) um, welche für ihre Indisziplin gefürchtet ist. Daneben existiert die effiziente und brutale 15.000köpfige Präsidialgarde (DSP), eine israelisch ausgebildete Spezialtruppe, die zusammen mit dem militärischen Geheimdienst SARM eine „Polizei innerhalb der Armee“ bildet.

Die Armeemeuterei, die den Volksaufstand der letzten Tage auslöste, kam von Soldaten der FAZ. SARM-Einheiten sicherten die Kontrolle des Flughafens von Kinshasa, um die Landung französischer Fallschirmjäger am Dienstag morgen zu ermöglichen. Mitglieder der DSP begleiteten die Franzosen bei ihren Einmarsch in die Hauptstadt.

Wenn nun französische Truppen in Kinshasa als Erfolg melden: „Die Rebellen haben sich ergeben“, und wenn sie, wie schon 1978, die von Aufständischen kontrollierte südliche Stadt Kolwezi besetzen, um, wie es heißt, „den Ausbruch von Unruhen zu verhindern“, setzt sich Frankreich damit einer großen Verantwortung aus. Fran¿ois Mitterrand war es, der im Juni 1990 beim franko-afrikanischen Gipfel von La Baule — dem Mobutu fernblieb — Demokratisierung zur Bedingung weiterer Unterstützung aus Paris ernannte. Die Abschlußerklärung vom 21. Juni unterstreicht „die Notwendigkeit, die betroffenen Bevölkerungen enger in die Konstruktion ihrer politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zukunft einzubeziehen“.

Die Einführung eines Mehrparteiensystems in Zaire Ende 1990, ohne irgendeine Aussicht auf Teilung der absoluten Regierungsgewalt, reichte dem Westen nicht aus: Sowohl Belgien wie auch die USA haben 1991 ihre Haltung verhärtet. In einem weitverbreiteten „vertraulichen“ Schreiben des belgischen Botschafters in Kinshasa Anfang Mai hieß es: „Wir haben schon genug Zeit verloren. Es ist unmöglich, mit Präsident Mobutu weiterzumachen.“ Der US- Kongreß sprach Anfang des Jahres von einem „korrupten Regime, das die fundamentalen Menschenrechte in flagranter Weise verletzt“ und fror Hilfe in Höhe von 30 Millionen Dollar ein. Anfang dieses Monats, so berichtete die Nachrichtenagentur IPS, bestand in Washington ein Konsens, „daß Mobutu entweder die Macht mit der Opposition teilen oder abtreten muß“.

Nun jedoch steht der Westen vor dem Dilemma, daß er mit seiner Intervention genau dies unmöglich macht. Eher besteht die Gefahr, daß Mobutu jetzt die Gelegenheit nutzt, die Opposition zu zerschlagen, die bestehende Parteienlandschaft für überflüssig zu erklären — seine eigene Staatspartei „Revolutionäre Volksbewegung“, dessen Hauptsitz in den Unruhen ebenfalls verwüstet wurde, eingeschlossen — und sich dem eigenen Volk als „Präsident aller Zairer“, der Welt als Garant der Stabilität zu präsentieren.

So reicht es nicht aus, daß der Pariser Botschafter in Kinshasa Mobutu jetzt zu einer „glaubwürdigen politischen Geste“ drängt und ihn unter stärkere Beobachtung stellen will. Auf diese Weise ist der Widerspruch, einerseits Zaire nicht „in der Konfusion“ zu lassen, andererseits aber Demokratie zu wünschen, kurzfristig nicht aufzulösen. Für die Staaten, die Mobutu in den letzten Monaten so vernichtend kritisierten, bietet sich jetzt nur die Möglichkeit, mit wirtschaftlichem Druck auf das Regime zu Veränderungen beizutragen, um das Land in eine Zukunft ohne Mobutu zu führen.