Prosit auf die Sicherheit!

In diesem Jahr feiern vier bundesdeutsche Sicherheitsbehörden ihr 40jähriges Bestehen. Zum öffentlich kaum bemerkten Jubiläum der großgewordenen Rüpelkinder eine Laudatio voller Wahrheiten  ■ VON OTTO DIEDERICHS
(Jahrgang '51)

Seltsam, kaum wird man selbst vierzig, stellt man fest, daß dies so manchem Begleiter der letzten Jahre genauso geht. Gleich vier bundesdeutsche Sicherheitsbehörden durften diesen Ehrentag in diesem Jahr ebenfalls begehen. Zu solchen Ereignissen ist in der Regel eine kurze Würdigung des zu Feiernden üblich — und einen guten Brauch soll man nicht übergehen.

Verfassungsschutz — in der Midlife-crisis

Genaugenommen beginnt die Geschichte des Verfassungsschutzes (VfS) sofort mit einer Täuschung, ein Umstand, der sich offenbar tief in der Psyche des damals jungen Dienstes verankert hat. Bevor er im September 1950 auf den Namen „Bundesamt für Verfassungsschutz“ (BfV) getauft an die Öffentlichkeit trat, hatte er bereits ein halbes Jahr als „Dienststelle Köln“ hinter sich bringen müssen. Dabei war er ein Wunschkind. Knapp drei Jahre nach der Kapitulation Deutschlands waren die Ministerpräsidenten der amerikanischen Besatzungszone (Bayern, Hessen, Baden-Württemberg, Bremen) 1948 bereits an die Militärregierung herangetreten, um die Genehmigung zur Errichtung eines zentralen Geheimdienstes zu erhalten. Als Begründung diente die angebliche kommunistische Unterwanderung der Polizei. Rund ein Jahr später, im April 1949, erhielt die Bundesregierung im sog. „Polizeibrief“ der Militärgouverneure dann die begehrte Erlaubnis, „eine Stelle zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische, gegen die Bundesregierung gerichtete Tätigkeiten einzurichten“.

Sieht man von einigen infantilen Streichen der frühen Jahre einmal ab, so hat der VfS eigentlich nie eine richtige Kindheit gehabt, sondern sich gleich ins Berufsleben gestürzt. Nun ist in unserer aufgeklärten Zeit allgemein bekannt, daß zu einem befriedigenden Berufsleben auch gehört, regelmäßig Erfolgserlebnisse aufweisen zu können. Der Verfassungsschutz erklärt in diesem Zusammenhang gern, daß Erfolge im Geheimdienstmilieu naturgemäß schwer darzustellen seien. Der Kunstgriff ist geschickt, erlaubt er doch, stets recht zu behalten, sofern man nur das richtige Argumentationsmuster beibehält: erstens hat man alles gewußt, kann es als Geheimdienst aber leider nicht publik machen ..., oder zweitens besaß man zwar die richtigen Informationen, die allerdings von der Politik falsch interpretiert wurden ..., oder drittens hätte man ja können, wenn man nur gedurft hätte ..., oder viertens ... usw.! Um einer in Sachen Geheimdienste seit einiger Zeit kritischer werdenden Öffentlichkeit, die bis ins konservativ-liberale Lager hinein die Sinnfrage stellt, von Zeit zu Zeit den Anschein einer Existenzberechtigung zu vermitteln, verweist man gern auf den Spionagebereich. Ungewollt wird dabei allerdings immer auch die Hauptbetätigung von Nachrichtendiensten sichtbar — die Beschäftigung mit dem eigenen Gewerbe. Daß der bundesdeutsche Verfassungsschutz auch bei solchen Indianerspielen keinen großen Erfolg vorzuweisen hat, ist spätestens seit dem Zusammenbruch der DDR überdeutlich: das MfS, der verhaßte Stiefbruder aus Ost-Berlin, war besser! Während die Kölner Spione bei Wind und Wetter um das riesige Areal an der Normannenstraße schlichen, um anhand mühselig gezählter Fenster auf die Anzahl der Zimmer zu schließen, was dann wiederum Rückschlüsse auf die dort Beschäftigten zuließ, woraus ..., hatten die hinter den Fenstern Werkelnden längst die kompletten Organisationspläne und Namenslisten über ihren Schreibtischen hängen. Seit sich dann durch den plötzlichen Wegfall des „nachrichtendienstlichen Gegners“ in den Ländern des ehemaligen Ostblocks die Legitimationskrise noch weiter verschärft hat, zerrt es nun schwer an den Nerven des Jubilars. Einen Stellenabbau konnte das mit rund 2.400 Schattengestalten besetzte Kölner Stammhaus noch verhindern, in den Ämtern der Altbundesländer hingegen gehen unweigerlich Pfründe verloren — ganz zu schweigen vom Neuaufbau in der vormaligen DDR. Dort geht derzeit überhaupt nichts richtig voran. In Brandenburg darf man keine nachrichtendienstlichen Mittel einsetzen; in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen liegen bislang erst Gesetzentwürfe vor, und in Mecklenburg-Vorpommern ist man noch nicht einmal soweit. So beschäftigt sich das Kölner „Amt“ bis auf weiteres also wieder mit sich selbst und versucht, anhand der in Besitz genommenen Stasi-Akten Altfälle zu lösen, bis auch der letzte unentdeckte Doppel- oder Tripleagent gefunden ist. Trübe Aussichten!

Bundesgrenzschutz — an der Frührente vorbei

Im Geburtsregister steht der 28. Mai 1951 als der Geburtstag des Bundesgrenzschutzes (BGS). An diesem Tag trafen die ersten 1.800 Mann „Rahmenpersonal“ in ihren Unterkünften ein. Geplant auf eine Gesamtstärke von ca. 10.000 Mann, waren die ersten Verbände dann zum Jahresende aufgestellt. Schnell zeigte sich, daß der BGS nicht nur ein recht kräftiges, sondern auch ein wildes Kind war. Geführt von ehemaligen Wehrmachtsoffizieren und ausgerüstet mit Maschinengewehren und -kanonen, Panzerfäusten und Granatwerfern, übte sich die Truppe alsbald im ganzen Lande in Bürgerkrieg. Bei Übungseinsätzen gegen „bewaffnete Störer“ im Raum Hannover (November 1951) oder „Unruhen im Ruhrgebiet“ (September 1952) machte sie die Kriegserfahrungen ihrer Offiziere wieder nutzbar. Zog der Grenzschutz abends in die Kaserne zurück, schallte auch schon mal „Es zittern die morschen Knochen“ über das Feld. Als sich im Frühjahr 1956 dann die Möglichkeit eröffnete, beim Aufbau der Bundeswehr mitzutun, überführte sich der BGS zu 68 Prozent gleich verbandsweise in die richtige Armee — wurde jedoch flugs neu aufgebaut. Mit den Notstandsgesetzen von 1968, die unter gewissen Voraussetzungen den Einsatz der Bundeswehr im Innern erlaubten, war es mit der ganz wilden Zeit vorbei. Mit einer veränderten Aufgabenbestimmung hatte sich der BGS die Hörner abgestoßen. Die schweren Waffen konnten gegen Wasserwerfer, Gaspetarden und Gummiknüppel getauscht werden. Zusehends verschob sich auch der bisherige Kernauftrag — die Sicherung der Außengrenzen — in Richtung einer Eingreifreserve des Bundes, und seit 1972 gibt es kaum noch Großdemonstrationen ohne ihn. Für den BGS schien die Zukunft also gesichert. Das erwies sich jedoch als trügerisch, und wer bis dato geglaubt hatte, der öffentliche Dienst sei krisensicher, wurde nun eines Besseren belehrt. Die Bemühungen um den Abbau der EG-Binnengrenzen waren eine Katastrophe für die tannengrüne Truppe, denn ohne Personalabbau würde das nicht vonstatten gehen können. 1987 setzte das Bonner Innenministerium deshalb einen Stab ein, der Zukunftsplanung betreiben sollte. Außer der Übernahme neuer Aufgaben in Konkurrenz zu anderen Sicherheitsbehörden oder einer Verstärkung des Auslandsengagements im Rahmen von UN-Missionen fiel der Arbeitsgruppe „BGS 2000“ nicht viel ein. Dankbar nahm der abwicklungsbedrohte BGS daher die deutsche Wiedervereinigung und das damit einhergehende Sicherheitsvakuum in den neuen Bundesländern zur Kenntnis und machte sich auf in den „wilden Osten“. Auch die Schubladenpapiere der Zukunftsplaner ließen sich in dieser Situation umsetzen. So hat man sich östlich der Elbe die Bahnpolizei bereits wie geplant einverleiben können. Geht es nach dem Willen des Bundesinnenministeriums, soll das erst der Anfang sein. Auch sonst zeigt sich am Horizont wieder ein Silberstreif. Nach dem Willen der Bundesregierung soll die Oder von der einstigen „Friedensgrenze“ nun zur Armutsgrenze gegen die Völker des Ostens werden, die glauben, mittels des Zauberwortes Asyl an westlichem Wohlstand naschen zu können. Die Verstärkung des BGS-Kommandos Ost ist bereits in vollem Gange, die berufliche Zukunft bis auf weiteres wieder gesichert, von Personalabbau für knapp 29.700 BGSler ist keine Rede mehr. Gerade noch gutgegangen!

Bereitschaftspolizei — immer noch ein Rüpel

Schon vor der Geburt war die Bereitschaftspolizei (Bepo) ein ausgesprochenes Problemkind, das von der Regierung Adenauer schließlich nur mit entschlossenem Kaiserschnitt entbunden werden konnte. Der Aufstellung einer kasernierten Polizei im Nachkriegsdeutschland war ein längeres Tauziehen mit den Alliierten vorausgegangen. Schließlich endete es mit einem Kompromiß, bei dem Adenauer von seiner Wunschvorstellung, einer 25.000 Mann starken „Bundesgendarmerie“, allerdings Abstand nehmen mußte. Im Gegenzug erhielt die Bundesregierung dafür am 28. Juli 1950 grünes Licht für die Aufstellung „einer mobilen Polizeiformation von insgesamt 10.000 Mann in den verschiedenen Ländern“. Ausschlaggebend für den Sinneswandel der Militärgouverneure, die in den Jahren zuvor strikt auf Demilitarisierung und Dezentralisierung der Polizei bestanden hatten, war weniger die ewige Nörgelei aus Bonn als vielmehr die Aufstellung kasernierter Volkspolizei-Einheiten in der damaligen sowjetischen Besatzungszone. Kaum war damit die Schwangerschaftsfrage geklärt, begannen die Länderinnenminister schon den Streit darüber, welche Kompetenzen der Bundesregierung eingeräumt werden sollten. Im Oktober des Jahres schließlich hatte der „Alte von Rhöndorf“ die Faxen dicke und lud die Minister zu einer neuen — generalstabsmäßig vorbereiteten — Besprechung nach Bonn. Nach der Erörterung allgemeiner Grundsatzangelegenheiten wurden die versammelten Herren dann plötzlich mit der Ankündigung überrumpelt, die Alliierten hätten der Rekrutierung einer 5.000 Mann starken Bundeseinheit zugestimmt. Das war zwar eine eindeutige Lüge, hatte aber Erfolg. Verschreckt unterzeichneten die Minister ein Musterabkommen über die Bereitschaftspolizei, und so rückten am 5.Juli 1951 dann auch in der Bundesrepublik die ersten Bereitschaftspolizisten in eine Kaserne bei Eckernförde ein. Dieses (1971 modifizierte) Verwaltungsabkommen, in dem die Gesamtstärke überraschend gar auf 30.000 Mann festgeschrieben war, regelt seither Aufgaben und Zuständigkeiten von Bund und Ländern für die neue Polizei.

Ebenso wie der wenige Wochen ältere BGS war auch die Bereitschaftspolizei ein rechter Raufbold. In der Anfangsphase noch ganz in der Tradition geschlossener Polizeiformationen der Weimarer Zeit als unmittelbarer Militärersatz konzipiert, in etwa ausgerüstet und ausgebildet wie der BGS, verlief der Werdegang der Bepo anfänglich ähnlich wie der des Grenzschutzes. Zwar werden Bepo-Formationen auch dann stets eingesetzt, wenn es gilt, größere Katastrophen wie Flugzeugabstürze u.ä. zu bewältigen; ebenso sind es die geschlossenen Verbände der Bepo, die z.B. in der Folge eines Verbrechens Waldstücke absuchen oder die „Mausefallen“ bei Geschwindigkeitskontrollen besetzen. Im öffentlichen Bewußtsein allerdings sind die rund 26.000 Bereitschaftspolizisten der Altbundesländer in erster Linie die Rüpel, die stets aufgeboten werden, wenn politische Entscheidungen auch gegen den Willen größerer Bevölkerungsteile durchgesetzt werden sollen. Daran wird sich wohl auch zukünftig wenig ändern, denn auf eine eigene Bereitschaftspolizei will in den Neubundesländern kein Innenminister verzichten, und so haben die Herren der Bepo zum Vierzigsten dann ein entsprechendes Geschenk gemacht: Ende März 1991 lagen alle Anträge vor, dem Abkommen über die Bereitschaftspolizei beizutreten. Als Soforthilfe bei der Erstausstattung stellten die kasernierten Altländer den neuen daraufhin für elf Einsatzhundertschaften aus dem eigenen Bestand Gerät und Material im Wert von etwa 40 Millionen Mark zur Verfügung. In den nächsten zwei Jahren sollen sie zudem bevorzugt ausgestattet werden. Am 17. Juni 1991 wurden in Leipzig dann auch gleich die ersten 275 sächsischen Bereitschaftspolizisten vereidigt. Knüppel frei!

Bundeskriminalamt — auf der Erfolgsleiter

Wie kaum anders zu erwarten, lieben die Väter und Mütter des deutschen Sicherheitswesens sämtliche ihrer Zöglinge, und in gewisser Weise haben ja auch alle die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt. Wirklich stolz und zufrieden sein können sie jedoch nur auf das Bundeskriminalamt (BKA), denn einzig das BKA kann nach gängigem Verständnis auf eine Karriere verweisen.

Nachdem Mitte März 1951 das Gesetz über das Bundeskriminalamt in Kraft getreten und im Mai dann Wiesbaden als dessen Sitz bestimmt worden war, bezog die neue Behörde mit zunächst 231 Bediensteten Unterkunft in einer umgebauten Jugendherberge. Doch bereits im nächsten Jahr konnten die ersten Neubauten bezogen werden. Behende machte man sich zunächst an den Aufbau der „Sicherungsgruppe Bonn“ (1951), die Kriminaltechnik (1952), Abteilungen für Auswertung und Ermittlungen (1953) usw. Im Jahr 1973 schließlich wurde das BKA zur Zentralstelle der Verbrechensbekämpfung in der Bundesrepublik ernannt, dessen Hauptaufgabe fortan in der Sammlung, Auswertung und Koordination der Erkenntnisse der Länderpolizeien liegen sollte. Gerade erwachsen geworden, stand die Wiesbadener Behörde damit elf Landeskriminalämtern (LKÄ) vor. Zugleich wurde es damit zur Zentralstelle für den elektronischen Datenverbund und Nationales Zentralbüro der Interpol.

Unter der Präsidentschaft des computerbesessenen Horst Herold ging es ab 1971 schließlich so richtig los. Bereits im November des Jahres konnte man in Wiesbaden die erste Ausbaustufe des bundesweiten INPOL-Systems in Betrieb nehmen, an das 1976 — das BKA war gerade 25 Jahre alt geworden — bereits über 700 Daten-Endstationen angeschlossen waren, davon 300 unmittelbar und der Rest über Rechner auf Länderebene. „Auf Knopfdruck kann ich Zusammenhänge feststellen“, so die Vision, „wie Fingerabdrücke und Vererbung, Körpergröße und Verbrechen. (...) Aber ich kann auch Zusammenhänge feststellen wie Ehescheidung und Deliktshäufigkeit, Trinker und das verlassene Kind... Ich kann ständig wie ein Arzt ... den Puls der Gesellschaft fühlen...“ 1981 wurde Herold, der das Amt zuletzt kaum noch verlassen hatte, abgelöst. Computertechnisch ließ sich nicht mehr viel machen, lediglich Programme konnten verbessert oder neu entwickelt werden. Seine Nachfolger kehrten daher wieder stärker zu polizeilicher Handarbeit zurück. Für das BKA war das nicht von Nachteil. Aufgabenzuwachs hatte es seit eh und je gegeben, nun schwoll auch der Personalstrom noch an: aus den ursprünglich 231 Beamten sind unterdessen knapp 4.200 (1990) geworden. Wenn zum Jahresbeginn 1992 auch die neuen Landeskriminalämter in der früheren DDR ihre Arbeit aufnehmen, wird sich dies auch im BKA bemerkbar machen — das Wachstum wird also wohl noch eine geraume Weile anhalten.

Na dann herzlichen Glückwunsch!

PS: Der Bundesnachrichtendienst (BND) und der Militärische Abschirmdienst (MAD) müssen noch bis Ende 1996 warten, bis sie ihre vierzig Kerzen ausblasen dürfen.

Otto Diederichs ist Redakteur und Mitherausgeber von 'Bürgerrechte & Polizei‘/CILIP