„Känguruhs“ im Soldatenheim

Künstlergruppen wollen in Dresden ein „Kulturkraftwerk“ errichten/ Als sie nach vergeblichen Verhandlungen Tatsachen schufen, eilte die Polizei in ungewohnter Schnelligkeit herbei  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Die bronzene Familie vor dem gläsernen Portal lächelt noch ungetrübt in den Dauerstau auf der Otto-Buchwitz-Straße. Unglaublich lang ist es her, daß hier, im „Haus der Nationalen Volksarmee“, sozialistische Soldatenkollektive und Brigaden der sozialistischen Arbeit rauschende Feste feierten. Gleich nachdem die Bundeswehr ihr Erbe am Rande des alten Kasernenviertels in „Sächsisches Soldatenheim“ umbeschildert hatte, ging gar eine Strip-Show vor jauchzender Kulisse über die Bühne. Heute wartet nur noch eine Videothek auf BesucherInnen.

Stoltenberg mag das Heim nicht haben; das Bundesvermögensamt bietet es der Kommune an. Nicht für den Schätzwert von 2,8 MillionenDM, sondern für ein knappes Drittel — wenn das Haus weiterhin kulturell genutzt wird. Von dem beabsichtigten Verkauf erfuhren die Mitarbeiter des Hauses nur durch Zufall, aber die Kommune schmäht auch den Aktionspreis. Sie hat das verwaiste Soldatenheim dem Goethe-Institut versprochen.

Dienstag morgen zog ein Häuflein jüngerer Leute ins Soldatenheim ein, erklärte es für besetzt und teilte dem irritierten Chef des Hauses mit, hier werde ein „Kulturkraftwerk“ errichtet. Für dieses Projekt stehen beispielsweise „Reiter“ und „Känguruh“, insgesamt mehr als ein Dutzend sozio-kultureller Initiativen und Künstlergruppen der Stadt. „Kulturkraftwerk“ sei eine Initiative, der „kulturellen Erstarrung Alternativen entgegenzusetzen“, denn die „Kunst- und Kulturstadt Dresden droht unter Industriemüll, Traditionalismus und Kommerzkultur zu ersticken“. Alles, was da nicht hinpasse, falle künftig „hinten runter“.

Für derlei plötzliche Argumentation hatte, mitten in der „Abwicklung“, der Leiter des NVA/Bundeswehr-Hauses kein Verständnis. Er kabelte der Polizei: Hausfriedensbruch! Die friedlichen Hausfriedensbrecher hatten sich aber um Kontakt zu Politikern und Medien bemüht. Im übrigen bestanden ihre Aktionen hauptsächlich darin, im Kreis zusammenzusitzen, um zu musizieren. Nur eine Viertelstunde dauerte es, bis die Polizei mit Blaulicht heranbrauste und die Straße absperrte. Autonome hätten das Soldatenheim besetzt, hieß es aufgeregt. Der Einsatzleiter ließ das Haus trotz Vermittlungsversuchen der Besetzer räumen. „Dabei wurde passiver Widerstand geleistet“, hieß es später bei der Polizei. 38 Personen wurden „nach Festellung ihrer Personalien wieder auf freien Fuß gesetzt“, gegen sie wird wegen Hausfriedensbruchs ermittelt.

Vor der Presse wies der Kunstwissenschaftler Klaus Nicolai vom „reiter e.V.“ den Vorwurf des Hausfriedensbruchs zurück. Den Initiatoren des „Kulturkraftwerkes“ sei vom Kulturamt der Stadt dieses Haus zugesagt worden, noch ehe das Goethe- Institut ins Gespräch kam. Nach längerer Suche nach geeigneten Räumen für ihr Projekt sei ihnen just dieses Gebäude untergekommen. Sie verstehen es durchaus schon als eine kulturelle Aktion, das 1910 auf wilhelminischem Grundstein errichtete älteste deutsche Soldatenheim „von einer militanten Nutzung in eine humane Nutzung zu überführen“. Dort gebe es Räume für eine Medienwerkstatt, für Ateliers, Galerien, für den obdachlosen Kinderladen „Känguruh“, für das Zusammenwachsen von sozialen, künstlerischen und ökologischen Projekten.

Doch die von den zuständigen Landes- und Kommunalpolitikern entsandten Stellvertreter hätten den „Kulturkraftwerkern“ nur ihre Informationslücken offenbart. Das für Dresden einmalige Projekt klemme irgendwo im Amtsfilz. „Reiter“ erinnerte an verbale Zusagen aus dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst, das Kulturkraftwerk zu fördern; davon sei nichts zu merken. Statt dessen würden kulturelle Aktionen kriminalisiert.

Das „Soldatenheim“ ist innerhalb von vier Wochen schon das zweite besetzte Haus in Dresden, das mit einem massiven Polizeiaufgebot geräumt wurde. Erst Ende August stürmte in der äußeren Neustadt ein Polizeikommando ein Haus, dessen BesetzerInnen unmittelbar zuvor von einem rechtsradikalen Pulk mit Mord und Brandstiftung bedroht wurden. Damals nahm die Polizei fünf HausbesetzerInnen fest, gegen die noch immer wegen „Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Verstoßes gegen das Waffengesetz“ ermittelt wird (taz-FNL berichtete). Die jungen Leute hatten sich des bedrohlichen Angriffs von 30 Rechtsradikalen mit Molotowcocktails zu erwehren gesucht und selbst die Polizei alarmiert. Während das Polizeikommando sich knüppelnd und beleidigend mit den sogenannten „Autonomen“ beschäftigte, ließ es die beifallklatschenden Rechtsradikalen laufen.

Andreas Rönsch, einer der „Kulturkraftwerker“, wies darauf hin, daß am gleichen Tag, als die Einsatzwagen zum Soldatenheim heulten, ein Asylbewerberheim mitten in der Stadt von zwei Dutzend Rechtsradikalen überfallen wurde. Dort kam die Polizei wieder zu spät. So ist die Befürchtung nicht aus der Luft gegriffen, „daß an den BesetzerInnen des Soldatenheims ein politischer Prozeß initiiert wird, während mutmaßliche Täter des rassistisch motivierten Mordes an dem Mosambikaner Jorge Gomondai seit einem halben Jahr frei herumlaufen“. Weder für diesen Mord noch für einen der zahlreichen Überfälle auf Asylbewerberheime in Sachsen konnten bisher Tatverdächtige unter Anklage und vor Gericht gestellt werden.

Die Fraktionen Bündnis90/ Grüne und SPD haben sich noch während der Besetzung mit der Aktion der KünstlerInnen und Initiativgruppen solidarisiert. Mit einem Straßenfest und künstlerischen Aktionen äußerten sich die „Kulturkraftwerker“ öffentlich zu ihrem Projekt. Am Freitag, so melden Gerüchte, soll das „Soldatenheim“ verkauft werden.