: Wo die Musiker auf Bäumen wachsen
■ Frank Tovey will mit seiner neuen Band The Pyros definitiv nicht mehr Fad Gadget sein
Auf den britischen Inseln wachsen die Musiker anscheinend auf den Bäumen. Selbst im entlegensten Kaff, sagen wir in Donegan/ Nordwest-Irland, steht so ein Baum. Den sucht man sich, pflückt ein, zwei Früchtchen, behandelt sie nett, steckt sie in Kisten und verfrachtet den Inhalt nach London ins Tonstudio. Dort spielt man aus dem Stand eine Platte ein, und fertig ist die neue Scheibe.
Damit soll nicht behauptet werden, Frank Tovey hätte sich mit seiner aktuellen LP Grand Union keine Mühe bereitet. Aber erstaunlich ist es trotzdem, daß die Mitglieder seiner neuen Band, die Spitzeninstrumentalisten Paul Rodden und John Cutliffe, dieselben Rodden und Cutliffe sind, »die in den Achtzigern als die Pyros mit ihrem Bluegrass in ihrer Heimatstadt Donegan bekannt wurden“ (PR-Info). Und das wohl noch immer täten, hätte sie nicht jemand gepflückt, nett behandelt, in Kisten verfrachtet und — ach, Schluß damit, Frank Tovey hat genug Ärger mit der Presse.
Manche KritikerIn kriegt es einfach nicht herunter, daß der Familienvater Tovey nicht mehr den 20jährigen Techno-Punk Fad Gadget mimen will. Dabei übersehen die professionellen Meckerer, daß der Mann nichts anderes tut, als sich treu zu bleiben. Die verlängerte Pubertät dauert nicht ewig, und wenn einer zu sich und der Veränderung in seiner Musik so steht wie Tovey, hat er schon halb gewonnen. Seine Musiker, die Pyros, steuern weitere 40 Prozent gewonnen bei. Macht zusammen 90 Prozent gewonnen, gar nicht schlecht für einen alten Helden.
Tovey hat sich von seinem Ausflug aufs Land gut erholt. Für Grand Union mischte er die letzten Folklorereste aus der 89er LP Tyrany and the hired hand mit fetziger Popmusik zu eingängigen Songs, in die schon mal eine abdrehende Gitarre reinkreischt oder plötzlich John Cutliffes Baß mächtig dazwischenknödelt. Aber meistens geht es bei Toveys neuen Liedern gesittet zu. Hübsche Melodien, süß hängende Gitarrenläufe und herziges Banjospiel helfen den Streß vom Tage abzubauen und besorgen den entspannten Transfer in die Gute-Laune- Zone. Daneben singt Tovey so etwas wie Balladen. Traurige, ernste Balladen, mit Anfangszeilen wie „to pretend to understand what You've been through would be a lie and I could not lie to You“, die einen für manches Folgende von vorneherein entschädigen.
Außerdem ist da noch Toveys Stimme. Die singt nicht nur Texte, hinter denen ein wacher Geist steht (mit der ständig auf Covern und Promotionfotos abgebildeten Herrenreiterpose verbindet sich übrigens ein Spendenaufruf für einen in der Existenz bedrohten City-Bauernhof in London), Toveys Stimme hört sich auch nicht „nölend“ an, wie sie das PR-Info nennt und damit reichlich danebenhaut, Toveys Stimme ist, ohne geschlechtsspezifische Lust-Klischees wie rauh, sonor, dunkel oder sonstwas ins Spiel bringen zu wollen, simply sexy. In ihr schwingt ein Ton mit, der direkt in den Bauch fährt und Laune macht. OK, keine weiteren Avancen, es bleiben noch 10 Prozent gewonnen. Die bekommt der Rezensent. Erstens mag er Balladen nicht besonders und zweitens klingen Toveys volle Sounds (voll mit hübschen Melodien, plängenden Gitarrenläufen und herzigem Banjosp... was soll das eigentlich?) zumindest auf Platte manchmal verdächtig nach U2 und Hurrajubelchor. Check it out, it's live! Ulrich Clewing
Am 29. 9. um 20.30 Uhr im Loft
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