Die Qual der Wahl

■ Das Kreuz mit der Telefoniererei/ Nun kommt man nicht mehr von West nach West durch/ Demnächst beginnt Crashprogramm zur Änderung gleichlautender Nummern in Ost und West

Wer von West- nach Ost-Berlin telefonieren will, kommt inzwischen ohne stundenlanges Wählen und anschließendes wütendes Geschirrzerschmeißen durch. Auch von Ost nach West ereignen sich die Wunder in Gestalt freier Leitungen immer öfter. Dafür aber scheinen westdeutsche Städte von Berlin aus unerreichbar zu werden. Vor allem Bonn erreiche man während der normalen Bürozeiten nur noch mit Glück und stoßweisen Gebeten, beschweren sich gestreßte JournalistInnen und AmtsträgerInnen seit Wochen.

Ein Fall von vielen: Tante Edith ist 50 geworden. Ein Anlaß für ihre brave Berliner Nichte, sich endlich mal wieder bei ihr zu melden. Doch Tante Ediths Telefonnummer in Bonn hat sie längst verloren. Frohgemut ruft sie die Auskunft an: 1-1-8-8. Um dort von einer mäßig erotischen Frauenstimme darauf hingewiesen zu werden, daß sich die Nummer in 0-1-1-8-8 geändert habe. Also auf ein Neues: 01188. Besetzt. 01188. Besetzt. 01188. Besetzt. Bis ich Tante Edith erreiche, flucht die Nichte, ist sie schon 51 geworden.

Doch sie dünkt sich schlauer: Statt der ständig überlasteten Berliner ruft sie die Auskunftsstelle in Tübingen oder Castrop-Rauxel an. Also: 07071-1188. »Kein Anschluß unter dieser Nummer«. Na dann nochmal mit der neuen Null: 07071-01188. Und schon wieder: »Kein Anschluß unter dieser Nummer.« Die neue Null ist offenbar ein fieser Trick, um arme BerlinerInnen vom Anzapfen fremder Auskunftsstellen abzuhalten. Nach endloser Wählerei, um auch nur in die Warteschlange der Berliner Auskunft zu gelangen, hält die Nichte endlich Tante Ediths Nummer in den Händen. Doch sie nützt ihr nichts: Den Rest des Nachmittags ist Bonn anscheinend unerreichbar. Inzwischen völlig entnervt, ruft sie die im Telefonbuch unter »Sonderdienste« angegebene Nummer »Informationen der Deutschen Bundespost« an, um sich zu beschweren. Und bekommt folgenden überraschenden Bescheid zu hören: »Kein Anschluß unter dieser Nummer.«

Die Journalistin, diese Geschichte vernehmend und sich eigener weher Finger beim Anwählen Bonner Nummern erinnernd, hakt bei der Pressestelle der Telekom nach. Bonn nicht erreichbar? Nein, »das kann ich nicht bestätigen«, sagt ihr der Herr. Das Netz sei »ausreichend dimensioniert, wenn es nicht gerade eine Massenstörung gibt.« Leidet sie also genauso wie die Nichte unter Wahrnehmungsstörungen? »Es kann höchstens sein, daß sich eine Blindbelegung hochschaukelt«, vermutet der Pressesprecher. »Inzwischen besitzen ja viele Kunden eine Wahlwiederholungstaste am Telefon. Und wenn die pausenlos gedrückt wird, dann ist alles plötzlich besetzt, obwohl gar niemand telefoniert.« In solchen Fällen sei es besser, »zwei bis drei Minuten zu warten, statt andauernd zu wählen.«

Dieser neumodische Krimskrams am Telefon ist also schuld. Denn an der Telekom kann es natürlich nicht liegen. Da geht es ganz zügig mit neuen Verbindungen voran, weiß der Pressesprecher.

Vor allem von Ost nach West: Mitte des Jahres seien 300 neue Leitungen zugeschaltet und in der Klosterstraße die erste digitale Vermittlungsstelle mit 10.000 Anschlußmöglichkeiten bereitgestellt worden. Eine weitere Entlastung des Telefonnetzes zwischen den 400.000 Ostberliner und den 1,2 Millionen Westberliner Anschlüssen erhoffe sich die Telekom von den sogenannten Konzentratoren: Durch »hochkomplizierte Schaltungen« werden die immer noch knappen Leitungen ab Oktober oder November einer Vielzahl von Anschlüssen zur Verfügung gestellt.

Gut zu wissen, denn gleichzeitig darf man sich im nächsten Monat auf neues Chaos einstellen: Das halbe Telefonbuch wird dann nicht mehr stimmen. Da Mitte nächsten Jahres das Berliner Ortsnetz zusammengeschaltet werden soll, müssen bis dahin alle 144.000 Telefonnummern beseitigt werden, die in Berlin doppelt vertreten sind, nämlich im Osten und im Westen. »Ein Crashprogramm«, gibt der Herr von Telekom ehrlich zu. Betroffen sind vor allem die InhaberInnen einer mit 6, 4 oder 3 beginnenden Telefonnummer. Schon im Oktober sollen alle Ostanschlüsse, die mit 3 beginnen, statt dessen eine 9 erhalten, denn die 3 bleibt für Charlottenburg und Spandau reserviert. Umgekehrt werden alle Westnummern mit einer 24 am Anfang in 218 abgeändert, weil die 24 dem Osten vorbehalten bleibt. Und so weiter und so fort, bis alle verwirrt sind, Geschäftsabschlüsse platzen und Liebesdramen ausbrechen, weil der Freund sich angeblich die neue Nummer der Freundin nicht merken kann. Ute Scheub