Bei Überfall georgischer Truppen 60 Tote

■ Einheiten von Präsident Gamsachurdia attackieren zur Opposition übergelaufene Nationalgardisten Eine Parlamentssprecherin dementiert: „Es ist nichts geschehen“/ 3.000 Demonstranten halten Wache vor dem Fernsehgebäude

Tiflis (taz) — Zum zweiten Mal innerhalb weniger Stunden haben georgische Truppen das Hauptquartier der zur Opposition übergelaufenen Nationalgarde in Schawnabada bei Tiflis angegriffen. Nach Angaben des Kommandanten der Nationalgarde, Tenjujis Kitowani, sind bei dem Angriff am frühen Freitagmorgen etwa 60 Gardisten getötet worden. Der Überfall georgischer Truppen, die unter dem Kommando von Präsident Swiad Gamsachurdia stehen, habe sich Freitag morgen zwischen 2 und 3 Uhr Ortszeit ereignet, sagte Kitowani.

Die georgische Führung dagegen dementierte Kitowanis Darstellung. Eine Parlamentssprecherin erklärte: „Es ist gar nichts geschehen. Der Bericht von Kitowani ist eine Provokation.“ In einer von Gamsachurdia verbreiteten Erklärung hieß es, zwar hätten „loyale Einheiten“ am Freitag morgen die Kaserne der Nationalgardisten in Schawnabada „eingenommen“, dabei aber sei kein Schuß gefallen. Kitowani und die Nationalgardisten hätten die Kaserne schon vor mehreren Tagen geräumt. Nach Darstellung von Kitowani waren die Soldaten zum Zeitpunkt des Überfalls unbewaffnet und hielten sich noch in der Kaserne auf, weil sie noch nicht für einen Einsatz vorbereitet gewesen waren.

Vor und in dem von Oppositionellen besetzten Fernsehgebäude in Tiflis herrschte in der Nacht zum Freitag ängstliche Spannung. Rund 3.000 unbewaffnete, zumeist jugendliche Demonstranten bewachten das Gebäude. Sie waren von Soldaten der Präsidentengarde umstellt. Wenig später waren Militärlastwagen dort aufgefahren. Die Oppositionsführer riefen daraufhin die Demonstranten auf, nach Hause zu gehen. Doch trotz des Aufrufs blieben die meisten bis zum frühen Morgen. Als Kitowani um drei Uhr im Fernsehen von dem Angriff auf die Kaserne der Nationalgardisten berichtete, löste sich die Menschenmenge in Panik auf.

In der Nacht wurden in Tiflis von Soldaten der georgischen Präsidentengarde Straßensperren und Kontrollpunkte errichtet, um die Einhaltung des Ausnahmezustandes zu überwachen. Der Ausnahmezustand war von Gamsachurdia am Mittwoch verhängt worden, hatte jedoch in den ersten beiden Tagen kaum erkennbare Auswirkungen. An neuralgischen Punkten vor allem zwischen dem Parlament und dem Fernsehgebäude wurden Sperren errichtet, die von etwa 30 Soldaten und zehn Milizionären bewacht wurden. Autofahrer mußten sich ausweisen und ihre Wagen auf Waffen durchsuchen lassen.

In unmittelbarer Nähe des Fernsehgebäudes wurde eine Patrouille von Demonstranten daran gehindert, eine Straßensperre aufzubauen. Unter dem massiven Protest der Demonstranten mußten sich die 30 Soldaten in ein nahegelegenes Gebäude zurückziehen, wo sie sich die Nacht über verschanzten. Ebenfalls in der Nacht zum Freitag waren in der Umgebung des Fernsehgebäudes Schüsse zu hören. Ob dabei Menschen verletzt wurden, ist nicht bekannt.

Unklar war bis Redaktionsschluß, ob die Oppositionellen das Fernsehgebäude geräumt haben. Am Mittwoch hatte es ein Feuergefecht zwischen Nationalgardisten und Milizionären vor einem Elektrizitätswerk in Tiflis gegeben, wobei vier Menschen getötet und fünf verletzt wurden. Präsident Gamsachurdia hatte daraufhin ein bis Donnerstag befristetes Ultimatum gestellt, die Waffen abzugeben und das von den oppositionellen Nationalgardisten besetzte Fernsehgebäude zu räumen. Thorsten Schmitz