Macht kann sich nur durch Kompetenz legitimieren

Im modernen Großbetrieb — wie beim Computerhersteller Hewlett Packard in Böblingen — ist der alleinherrschende Manager eine Spezies von gestern  ■ Von Thomas Worm

Tiefgreifend wird die Sinnkrise sein, welche den oberen Köpfen in der Unternehmenshierarchie, den Managern also, innerhalb der nächsten Jahre bevorsteht. Bei den Innovatoren in Sachen Betriebsorganisation — etwa beim Böblinger Computerhersteller Hewlett-Packard (HP) — wird die herkömmliche Rolle des Managements bereits kräftig umdefiniert. Und das nicht erst seit gestern. Während chaotisierende Alternativbetriebe sich bei bürgerlichen Firmenberatern nach Rezepten für eine klassische Top-down-Struktur umhören und klare Hierarchien zur Weisheit letzter Schluß erklären, hat andernorts die Demontage der traditionellen Bosse im Ledersessel begonnen.

„Es geht um Selbstorganisation anstelle des sich für alles verantwortlich fühlenden Managers“, sagt Peter Oswald, Bildungsspezialist bei HP. Offenbar mehr als nur das Blabla einer sich als zeitgemäß gerierenden Firmenkultur. Der Hintergedanke: Beschäftigte, die an ihrem Arbeitsplatz Entscheidungen treffen dürfen, fühlen sich verantwortlich, sind höher motiviert — und wandern nicht zur Konkurrenz ab, wo sie weniger angenehme Arbeitsbedingungen vorfinden.

Bei HP arbeiten 6.200 Beschäftigte. Ein Mammut, das es zu zerlegen gilt. Die kleineren Subeinheiten — keine zählt mehr als 500 Leute — werden im Rahmen einer Matrixorganisation von einem zwanzigköpfigen Führungsgremium zusammen mit Beraterstäben aus den Einzelbereichen angeleitet, dem sogenannten Counsel. Lediglich globale Zielvorgaben formuliert der Counsel. Die Schwerpunktsetzung erfolgt dann in Projektgruppen. Job-Rotationen alle drei bis fünf Jahre, um innerbetriebliches Know-how anzureichern und durch breit gefächerte Einsatzgebiete eine größere Beschäftigungssicherheit zu schaffen, gehören ebenso zur HP-Organisation wie das persönlich verwaltete Zeitkonto. Durch Jobsharing, Überstunden, Swingtime und Urlaubsübertragung kann die Arbeitszeit weitgehend individuell gestaltet werden. Das Prinzip heißt Vertrauen, Stechuhren gibt es keine. Für vergleichbare Betriebe einmalig in der Bundesrepublik.

Auf Statussymbole wird bewußt verzichtet. Im Großraumbüro sitzen ChefIn und Subalterne direkt nebeneinander. „Die Manager müssen bescheidener werden. Die Maxime ,Folgt mir, und alles wird gut‘, ist out“, sagt Peter Oswald. Mit Hilfe von Erkenntnissen unter anderem aus der Biologie, den Sozialwissenschaften und der Chaosforschung soll die experimentelle Selbststeuerung, welche die Firmengründer Hewlett und Packard gewissermaßen intuitiv antizipierten, zu „systemischen Grundgedanken“ erweitert werden. Für die enormen Anpassungsgeschwindigkeiten in der EDV-Branche nutzt HP die Zonen eines produktiven Chaos', aus dem spontan optimale Formen der Selbstorganisation erwachsen — vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen stimmen. Ein Zehntel des Forschungsetats zum Beispiel wird von der Basis nach eigenem Gutdünken verwendet, in der Leitung kümmert sich niemand darum. HP konnte mit seiner findigen Produktpalette bisher immerhin zweistellige Zuwachsraten erzielen.

Ein anderes Beispiel für die autozentrische Entwicklung in Freiräumen ist die Leiterplattenfertigung. 130 HP-Beschäftigte legen ohne Führungskräfte fest, wie sie die Arbeit verteilen (Selbstregulation), welcher Produktionsmethode sie sich bedienen (Selbstbestimmung) und wie mit „Störern“, die sich nicht ans Reglement halten, zu verfahren ist (Selbstverwaltung). Druck durch das Strafinstrumentarium der Hierarchieoberen ist hier obsolet geworden. Von oben kommt nur noch die Aufgabennennung und der Zielrahmen.

Führt das nicht längerfristig zur Entmachtung der Manager, einfach, weil sie tendenziell überflüssig werden? „Macht und Selbststeuerung schließen sich nicht aus“, sagt Peter Oswald. „Macht ist erst dann ein Problem, wenn man sie nicht thematisiert. Im selbstgesteuerten Betrieb wird heiß diskutiert, Macht wird hinterfragt. Sie legitimiert sich durch Kompetenz. Die ist ausschlaggebend.“ Dabei sollten nach Ansicht von Oswald bestimmte Manager-Typen von der Bildfläche verschwinden. Etwa der Krisenmanager. Er führt regelmäßig Krisensituationen herbei, da er sie benötigt, um seine Unentbehrlichkeit unter Beweis zu stellen.

Desgleichen überflüssig ist der paternalistische Manager (es kann auch eine Frau sein), der überall dreinreden muß und seine Auftritte vor allem zur Selbstdarstellung nutzt. Den Zukunftstypus sieht Oswald im wenig spektakulären „Designer“, der Grobstrukturen entwirft, innerhalb derer sich die Selbstregulation möglichst reibungslos entfaltet.

Ein trockenes Sujet für die glänzenden Bosse von gestern? Oswald: „Ich glaube, der Wandel wird letztlich kommen. Eine schwierige Phase für die Manager.“