Testamentsvollstreckung des Killers?

Eine Kammer des Hamburger Landgerichts verhängte gestern gegen die frühere Anwältin Isolde Oechsle-Misfeld sechseinhalb Jahre Haft wegen Beihilfe zum Mord an Staatsanwalt Wolfgang Bistry  ■ Aus Hamburg Lisa Schönemann

Über fünf Jahre nach den tödlichen Schüssen im Hamburger Polizeipräsidium ist die frühere Anwältin Isolde Oechsle-Misfeld gestern in Hamburg zu einer Freiheitsstrafe von sechseinhalb Jahren wegen Beihilfe zum Mord und anderer Delikte verurteilt worden.

In dem ellenlangen Prozeß war das Tatgeschehen, das zum Tod von Staatsanwalt Wolfgang Bistry geführt hatte, zum zweiten Mal aufgerollt worden. Die Große Strafkammer eins vermochte mit ihrer Einschätzung kaum zu überraschen: Isolde Oechsle-Misfeld sei als „Mitwisserin“ in die tödlichen Pläne ihres Mandanten Werner Pinzner verstrickt gewesen, hieß es in der mündlichen Urteilsbegründung.

Die 44jährige Juristin nahm das Urteil mit dem selben fahrigen und überbetonten Gleichmut auf, mit dem sie den Prozeß seit April verfolgt hatte. Die Anspannung war der Angeklagten allerdings ebenso anzumerken wie ihren beiden Verteidigern. Der mehrfache Auftragsmörder Werner Pinzner hatte als Mandant von Isolde Oechsle-Misfeld im Sommer 1986 vor ihren Augen den Staatsanwalt Bistry bei einer Vernehmung erschossen, bevor er seine ebenfalls anwesende Ehefrau Jutta Pinzner und sich selbst tötete.

Justiz und Polizei konnten sich monatelang nicht von dem Schock erholen, daß eine 38er Smith & Wesson unbemerkt ins Polizeipräsidium geschmuggelt worden war. Ein Innensenator und eine Justizsenatorin schieden vorzeitig aus dem Amt.

Isolde Oechsle-Misfeld wurde 1988 zu fünf Jahren und neun Monaten Haft wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil jedoch später wegen eines Verfahrensfehlers auf. Von Anfang an pflegte die Staatsanwaltschaft den von der Boulevardpresse gierig aufgenommenen und bis ins letzte Dorf kolportierten Mythos vom „eiskalten Engel“.

Die aus einem religiösen Elternhaus stammende Frau mit dem züchtig gebundenen Kopftuch soll das Pinzner-Mandat aus Gewinnsucht übernommen und bis zum bitteren Ende dabei geblieben sein. Sie habe darauf geachtet, daß die Geldforderungen des Killers im Kiez-Milieu auf St.Pauli ernst genommen wurden und Pinzner in der Haft mit Koks versorgt. Schließlich soll sie Jutta Pinzner angewiesen haben, unter ihrem Rock eine Waffe ins Präsidium zu bringen. Die Exklusivrechte an der Pinzner-Story verkaufte sie an eine Agentur. Oberstaatsanwalt Martin Köhnke charakterisierte Isolde Ochsle-Misfeld im Verfahren als „kaltblütige Schlüsselfigur“ und forderte eine Haftstrafe von neun Jahren wegen Beihilfe zum Mord.

Die Verteidigung zeichnete ein gänzlich anderes Bild. Ihre Mandantin sei auf den Doppelselbstmord der Eheleute Pinzner fixiert gewesen, so die Anwälte von Isolde Oechsle-Misfeld. Sie habe nicht ahnen können, daß Werner Pinzner einen Dritten mit in den Tod nehmen würde. Pinzner habe versucht, Isolde Oechsle- Misfeld durch manipulierte Aufzeichnungen zu belasten, die später in seiner Zelle gefunden wurden. Mit der Heranziehung dieser Notizen und der Briefe Jutta Pinzners dürfe sich die Kammer nicht „zur Testamentsvollstreckerin des Killers“ machen. Weil die Beweisführung der Staatsanwaltschaft auf „tönernen Füßen“ stehe, pochte das Strafverteidigerduo Wolf Römmig (Hamburg) und Bertram Börner (Hannover) auf „Milde und Verständnis“.

Isolde Oechsle-Misfeld, die nacheinander an einen tyrannischen Vater, einen schizophrenen Ehemann und einen omnipotenten Mörder geraten war, hatte vor Gericht kategorisch verneint, die Waffe vom Kiez beschafft zu haben. Auch sei sie in Pinzners Horror-Szenarien von einem spektakulären Abgang nicht involviert gewesen. „Es war ein Kanal ohne Seitenarme“, sagte sie im Schlußwort. „Ich war ein Glied in einer Kette, an deren Ende ein Mensch nicht mehr lebt. Es tut mir leid.“

Daß sie in der damaligen Situation den Überblick verlor, führt der psychiatrische Sachverständige Norbert Leygraf aus Essen auf eine „neurotische Persönlichkeitsentwicklung“ zurück. Er attestierte Isolde Oechsle-Misfeld ausgesprochen depressive Züge und einen Zwang zur Überfürsorglichkeit. Als die Eheleute Pinzner sich umbringen wollten, habe sie aufgrund ihrer eigenen suizidalen Gedanken mit viel Verständnis reagiert.

In der Kernfrage des Verfahrens nach der Mordbeteiligung der Angeklagten blieb die Große Strafkammer eins des Hamburger Landgerichts hart. Der „Racheakt“ des „professionellen Totmachers“ an Staatsanwalt Wolfgang Bistry sei für Isolde Oechsle-Misfeld nicht unerwartet gekommen, so Richter Günther Heinsohn. Sie sei „im Inneren kaputt und angeschlagen gewesen und habe nach außen eine heile Welt“ zur Schau getragen. Die Kammer sei sich ihrer Gratwanderung bei dem Versuch, in diesem Fall ein angemessenes Strafmaß zu finden, durchaus bewußt gewesen.

„Eigentlich bleibt hier nur Fassungslosigkeit“ über die Verstrickungen einer „erfolgreichen Anwältin“. Isolde Oechsle-Misfeld, die seit dem Vorfall von der Sozialhilfe lebt, soll nach Verbüßung der Haftstrafe dennoch in ihren alten Beruf zurückkehren können.