Bundeskanzleramt im schiefen Licht

Ex-BND-Chef Wieck: Bundeskanzleramt ließ „Schneewittchen“ als Quelle über „Czerny“ anzapfen/ Regierungsparteien blocken unverzügliche Vernehmung des Kanzleramtsministers ab  ■ Aus Bonn Thomas Scheuer

Das Bonner Bundeskanzleramt ließ den früheren DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski im September letzten Jahres nach möglichen Stasi-Verbindungen des DDR-Ministerpräsidenten de Maizière befragen. Diese Behauptung Schalcks bestätigte der frühere Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Hans-Georg Wieck, am Freitag im Schalck-Untersuchungsausschuß des Bundestags.

Danach drängte das Bundeskanzleramt den BND in September 1990 mehrmals zur Vermittlung eines Gespräches zwischen Schalck und dem CDU-Volkskammerabgeordneten Ralf Geisthardt, das dann auch in einem Münchner Hotel stattfand. Entgegen der vereinbarten Themenliste befragte Geisthardt Schalck über Stasi-Kontakte einzelner DDR-Politiker, allen voran Lothar de Maizière und Peter-Michael Diestel. Laut Schalck war Geisthardt im Auftrag des heutigen Bundesverkehrsministers Krause (CDU) unterwegs. Er habe jedoch nicht mit Informationen dienen können.

Keine abschließende Klarheit ergab die Anhörung Wiecks in der Affäre um die falschen Pässe für Schalck, in der das Bundeskanzleramt ebenfalls in einem schiefen Licht erscheint. Kanzleramtsminister Stavenhagen war in Verdacht geraten, das Parlament belogen zu haben, als er im März dem SPD-Abgeordneten Conradi mitteilte, Schalck habe keine falschen Papiere erhalten. Stavenhagen beschuldigte den BND, ihn über den gegenteiligen Sachverhalt falsch informiert zu haben.

Vor dem Schalck-Ausschuß beharrte Wieck auf seiner Version, er habe Stavenhagen persönlich bereits am 28.2.1990 über die Ausstellung „vorläufiger Papiere“ für die Schalcks informiert. Wieck räumte ein, Stavenhagen könne diese Auskunft falsch interpretiert haben. Jedenfalls habe der BND dem Kanzleramtschef nie mitgeteilt, daß für Schalcks keine Falschpapiere ausgestellt wurden. Nach Angaben des Ex- Geheimdienstchefs wurde bereits am 6. Februar 1990 in Bonn eine mögliche Namensänderung Schalcks erörtert. Da die Paßfrage darüber hinaus in mehreren Vermerken und Schreiben auf der Achse BND-Bundeskanzleramt mehrfach erwähnt wurde, also als Problem offenkundig in der Luft lag, müßte BND-Aufseher Stavenhagen bei der Beantwortung der Conradi-Anfrage von den Gutmann-Pässen gewußt oder zumindest triftigen Grund zur Nachfrage gehabt haben.

Die Decknamen-Pässe für das Schalck-Ehepaar, so erläuterte Wieck, seien lediglich eine „temporäre Schutzmaßnahme“ zur Absicherung der Befragung Schalcks durch den BND gewesen und nach wenigen Wochen wieder eingezogen worden. Der BND habe sich strikt an das Prinzip gehalten, wonach er „nicht für die Integration und den Lebensunterhalt Schalcks zuständig“ sei. Auf das für Überläufer-Interviews übliche Honorar — immerhin 300 Mark pro Stunde! — habe Schalck von sich aus verzichtet.

Die Regierungsparteien im Untersuchungsausschuß lehnten einen Antrag des Bündnis 90/Grüne ab, Kanzleramtsminister Stavenhagen schon in der nächsten Ausschußsitzung als Zeuge zu vernehmen.