Das Grundrecht auf Asyl bleibt

Statt dessen sollen die Asylverfahren verkürzt werden/ In einem Spitzengespräch beim Bundeskanzler einigten sich die Bonner Altparteien auf einen Kompromiß/ Verfahrensdauer von sechs Wochen  ■ Von Ferdos Forudastan

Bonn (taz) — Das Asylverfahren wird noch stärker als bisher verkürzt. Der Asylartikel 16 des Grundgesetzes bleibt, wie er ist. Dies ist das Ergebnis eines Gespräches, das Innenpolitiker der Bonner Regierungskoalition und der SPD gestern in Bonn beim Bundeskanzler führten. Nun soll eine Gruppe von Vertretern der CDU/CSU/FDP/SPD Vorschläge dazu ausarbeiten, wie die Asylverfahren beschleunigt werden könnten. Ziel ist, so der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Hans- Jochen Vogel, diese Vorschläge so zu konkretisieren, daß sie bald in Gesetzesform zu bringen seien. Als zentrale Punkte der Beschleunigung nannte der SPD-Vorsitzende Björn Enghom vor Journalisten vor allem dies: Ein Großteil der Asylverfahren sollte innerhalb von sechs Wochen abgewickelt werden. Hierfür fordert die SPD unter anderem, daß Sammellager für die Asylbewerber eingerichtet werden. Statt bisher Sozialhilfe sollten diese Menschen Naturalleistungen bekommen.

Als „Handreichung“ für die Behörden und Gerichte plädiert die SPD für Länderlisten, denen zu entnehmen sei, in welchen Herkunftsländern derzeit keine politische Verfolgung stattfindet. Anders als die CDU/CSU wollen die Sozialdemokraten allerdings nicht, daß die Bewerber auf der Grundlage solcher Länderlisten schon an den Grenzen zurückgeschickt werden. Hierfür müßte, wie es die Unionsparteien fordern, auf jeden Fall das Grundgesetz geändert werden. Der SPD- Chef forderte die Bundesregierung auf, Maßnahmen gegen den Nato- Partner Türkei zu ergreifen, der die Kurden im Land brutal unterdrücke und viele von ihnen damit in die Flucht treibe.

Obwohl die Union die von ihr geforderte Grundgesetzänderung nun vorerst nicht bekommt, schienen ihre Vertreter gestern vor der Presse mit dem Gespräch zufrieden. Zwar beschied Wolfgang Schäuble, man sei weiterhin uneinig „ob das Asylproblem ohne eine Grundgesetzänderung in verantwortbarer Weise zu lösen ist“. Gleichwohl, so der Bundesinnenminister aber auch, habe man „verabredet, alle Anstrengungen zu unternehmen, um das Problem zu lösen“. Hierzu gehört es für den Bundesinnenmister, die geltende Rechtslage so zu ändern, daß jene Asylbewerber ohne Verfahren zurückgeschickt werden können, die aus Ländern kommen, in denen sie bereits Schutz vor Verfolgung gefunden haben oder hätten finden können. Nach Schäubles Aussagen sollen die Vertreter von CDU/CSU/ FDP und SPD bis zur nächsten Gesprächsrunde am 10. Dezember prüfen, ob dies möglich ist, ohne das Grundgesetz zu ändern. Das, wie Schäuble es formulierte, „verfassungsrechtliche Restrisiko“ hätten dann alle beteiligten Parteien gemeinsam zu tragen. Dem Vorschlag der SPD, Asylbewerber sehr viel stärker als bisher in Sammellagern unterzubringen, begegnete Schäuble vorsichtig erfreut: Angesichts der hierher strömenden Flüchtlinge sei es notwendig, etwa 70 zentrale Sammellager mit jeweils 500 Plätzen zu schaffen. Die SPD, so Schäuble, habe in den von ihr regierten Ländern bisher praktisch keine solchen Unterkünfte eingerichtet. In diese Kerbe schlug auch Bayerns Innenminister Edmund Stoiber. Er stellte es so dar, als nähmen die SPD-Länder überhaupt keine Asylbewerber auf — tatsächlich werden sie dort jedoch meist auf die Gemeinden verteilt und nicht in Sammellagern untergebracht. Stoiber beharrte auch weiterhin darauf, daß das Problem nur mit einer Grundgesetzänderung zu lösen sei. Als „vielsprechend“ bezeichnete Justizminister Klaus Kinkel (FDP) das Parteiengespräch. Man habe vereinbart, eine gemeinsame Lösung „unterhalb der Grundgesetzänderung“ zu suchen. Weshalb sie gezielt keine Vertreter der Gruppen Bündnis 90/Die Grünen und der PDS zu dem Treffen geladen hatten, begründeten die Bonner Koalitionäre freilich nicht.

Parallel zu dem Gespräch im Kanzleramt beriet gestern der Bundesrat verschiedene Gesetzentwürfe zum Thema Asyl. Für Baden-Württemberg forderte dessen Innenminster Schlee gestern erneut, den Artikel 16 zu ändern, da sonst „die Probleme nicht gelöst werden könnten“. Den gut begründeten Erwiderungen des nordrhein-westfälischen Innenministers Schnoor, wonach eine solche Verfassungsänderung praktisch nichts bringen, gleichzeitig aber das Grundrecht auf Asyl aushöhlen würde, widersprachen die Vertreter der unionsregierten Länder im Bundesrat nicht. Zu einer scharfen Kontroverse zwischen Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf und Hessens Umwelt- und Bundesratsminister Joschka Fischer kam es, nachdem Fischer den „Kammerton“ kritisiert hatte, in dem sich der Bundesrat trotz der Pogrome im sächsischen Hoyerswerda über das Thema Asyl unterhalte.