Ein Balg, eine Wohnküche

■ Von der Liebe zum Blatt: die taz im Spiegel der Belegschaft / Wie sollten wir sie nicht lieben

Morgens gezeugt, mittags gepäppelt, um acht ist das erste Ultraschallfoto fertig, und nachts um halb elf ist's geboren und duftet nach frischer Druckerschwärze: Die taz-Bremen ist ein Kind mit ungefähr zwanzig Eltern; sechs Kinder die Woche, ein wilder Haufen von Bälgern, mal ohne Kopf, meist ohne Unterleib, Schreihälse dabei, Freche, Lahme, Tumbe, Genies, Frühreife, Altkluge, mal weißgefleckt, mal buntgescheckt, kein einziges entspricht dem Schönheitsideal, aber alle sind liebenswert. Können wir die taz lieben? Wir können: die taz ist unser Kind.

Die taz ist...

Wenn Männer zu sehr lieben, ist die taz eine Frau; die taz ist ein Mann, „ein Chauvi!“, schimpfen Kolleginnen angesichts informeller Männerklüngel und abstürzender Sexismen. Die taz ist eine Mutter, weil sie nährt, und fürsorglich, weil sie uns nicht fett werden läßt: Der selten gewordene Einheitslohn liegt bei 1/3 des Tarifgehalts, und wenn die Geschäftführung auf dem Plenum eine Gehaltserhöhung vorschlägt, knallen keine Sektkorken. Betretenes Schweigen und Zaudern empfängt die gute Nachricht. Ob das gut geht mit den Mehrausgaben? Die taz sind wir.

...eine Gerüchteküche,

Die taz ist eine große Wohnküche, alles schreit, telefoniert, lacht, flüstert, tippt, schnipselt und zeichnet durcheinander, nie könnten Betriebsfremde unter solchen Bedingungen auch nur einen Agenturticker kürzen, nie brächte eine tazlerIn im Einzelzimmer was Gescheites zustande. Die taz ist eine Gerüchteküche. Ein Hort der halblaut gesprochenen Geheimnisse. Ein gigantischer Info-Pool, nach dem sich freie JournalistInnen die Finger lecken. Hier kochen auf einer Suppe von Banalitäten die feinsten Topmeldungen.

Die taz hat einen neuen Teppich und Sperrmüllmöbel, und ihre Nichtraucher sind weit und breit die inkonsequentesten. Vermutlich ist die taz sogar das trockenste Büro in Bremen: Selten taucht nach Dienstschluß ein Sixpack auf, Fahnen werden von zu Hause mitgebracht; eine Kollegin meint, die taz sei das Suchtmittel.

Die taz ist eine Maschine. Mit geradezu menschlichem Zorn. Und Hunger. Sie verschlingt Riesenhappen Megabites, wir nennen das „Absturz“ und dürfen die 120 Zeilen nochmal schreiben. Das ist schlimmer, als hätten wir sie nie geschrieben. Die Maschine hat Lieblinge und Feinde. Die Feinde werden nimmer froh. Die Maschine jagt sie mit weißen Flecken auf der Seite, mit wüst beschnittenen Fotos, unleserlichen Texten und einem gefürchteten Codewort aus der Druckerei: „Notseite!“

...eine Maschine, die sich selbst befeuert,

Mal Eis, mal heiß: Mal steigt die Anzahl der Körperkontakte mit der Frequenz gegenseitiger Lobeshymnen, mal sind überall die Messer maliziöser bis gnadenloser Kritik gezückt. Das Böse bleibt nicht lange unter der Decke. Im besten Fall ist die taz eine Maschine, die sich selbst befeuert. Im schlechtesten eine unendliche Frustgeschichte.

Ein historischer Rest ist die Idee, daß alle alles können (sollen). Darum fahren RedakteurInnen Nottouren im Trägerdienst und kritisiert das „Vorzimmer“ die Berichterstattung. Der Notfall ist die Regel. Einspringen das Tagesgeschäft. Kurz vor Redaktionsschluß zeichnet der Zeichner ein Loch voll, das durch eigenmächtiges Verschwinden einer Bildvorlage entstanden ist.

...ein Notfall als Regel.

Die Aufhebung der Trennung von Privatleben und Beruf ist — bei regelmäßig ausufernder Dienstzeit bis in die Nacht — längst vollzogen. Die taz ist eine Utopie, was naturgemäß nicht funktioniert. Wie sollten wir sie nicht lieben? Bus