ZWISCHEN DEN RILLEN VONCARLOINGELFINGER

Das Is Jazz“ steht in Fraktur-Lettern, umstellt von Bierseideln, auf einer amerikanischen Platte von 1956, die den US-Hörern den Jazz des Deutschland nach den Nazis, des guten, neuen, westlichen Deutschland nahebringen sollte. Albert Mangelsdorff war als Mitglied des Hans-Koller-Quintetts bei der Hälfte der Titel mit dabei. Jazz-Autor Leonard Feather zeigte sich begeistert vom „großartigen Albert Mangelsdorff, den manche Kritiker als den eigenständigsten aller deutschen Jazzsolisten betrachten“.

Seitdem könnten die meisten seiner Platten „Mangelsdorff spielt Mangelsdorff“ heißen. 1928 geboren, ist er alt genug, um Naziherrschaft, Krieg und die Frankfurter Jazz-Subkultur bewußt miterlebt zu haben. Jazz ist für ihn im weitesten Sinne auch eine politische Äußerung, eine Auflehnung künstlerischer Individualität gegen totalitären Geist: „Ich kenne keinen Jazzmusiker, der ein Rechter wäre. Das kann kein Zufall sein“, sagte er einmal zu Joachim Ernst Berendt. Er war jung genug, um als Musiker nicht mehr vom Swing, sondern direkt von den abstrakten Modern-Jazz-Klängen eines Lennie Tristano oder Lee Konitz beeinflußt zu sein. Cool, Hardbop, Free und Solo sind die wichtigsten Etappen seiner Entwicklung. Free-Spiel war ihm, der sich selbst als „ziemlich introvertiert“ beschreibt, die Möglichkeit, „meine Dinge nicht nur immer in feiner, sensibler Form loszuwerden“. Solo-Spiel brachte ihn wieder den Grundzügen seiner Individualität und der Jazztradition näher. Mit Leichtigkeit und Überzeugungskraft hat Albert Mangelsdorff alle Sounds und Spielweisen so vollkommen absorbiert, daß er immer unverkennbar er selbst bleibt und sich dabei in den unterschiedlichsten Settings gleichmäßig zu Hause fühlt, ob mit Peter Brötzmann, dem Globe-Unity-Orchester, Wolfgang Dauner, dem United Jazz & Rock Ensemble, mit eigenen Gruppen oder eben solo.

Mit dem Solo-Spiel entwickelt er die Kunst des mehrstimmigen Spiels: „Es wird eine Note und meistens eine darüber gesungen. Die Intonation ist das wichtigste, sonst entwickeln sich die Obertöne nicht richtig“, erklärt er.

Das für einen Bläser ein bißchen überraschende Bekenntnis: „Als das wichtigste an meiner Musik empfinde ich nicht den Sound, sondern den Rhythmus“ wird bei Soloeinspielungen wie Purity zum Hörerlebnis. Mangelsdorffs innerer Swing und innerer Takt (im Doppelsinn des Wortes) sind lebendiger Puls der klar gegliederten Kompositionen, die oft beim Üben oder als Spontanimprovisationen entstehen. Wie in Selbstgesprächen kommen Themen in Schleifen und Kreiseln wieder auf ihren Ausgangspunkt zurück, wie in Zwiegesprächen stellt er helle und dunkle Parts gegeneinander, leicht variiert und mit Breaks voneinander abgesetzt. Er hält keine obsessiven Monologe.

Manche, nur minutenlange Stücke sind vibrierende Akkordfolgen, deren Schwingungen im Ohr kitzeln, andere greifen in Harmonie und Improvisation auf Blues und Bop zurück. Schon die Titel verleiten zur Interpretation: Etwa Mississippi-Lehm am Schuh, wo sich über der schweren Basis von dirty notes Wellen kräuseln, Rufe vom Ufer erklingen, bis das Horn eines Raddampfers ertönt. Oder der geschäftige Leerlauf des Herrn Adabei, sein tuschelnder Tratsch, sein aufgeregtes Umherschwirren, um ja nicht übersehen zu werden. Bei Shame mischt Mangelsdorff zaghaft, sehr respektvoll, sehr schlicht seine helle Posaunenstimme in vom Band eingespielte majestätische, geheimnisvoll hallende Walgesänge.

Purity ist das in spannender Schwebe und innerer Harmonie ausgewogene Werk eines Künstlers, der seinem eigenen Anspruch, „all das auszuführen, was einem einfällt“, genügt. Der also eins ist mit seiner Musik.

„Na, nun, nanu“, würde Albert Mangelsdorff dazu vielleicht sanft spöttisch sagen. Jedenfalls heißt so das vierzehnte und letzte Stück. Er spielt es zum guten Schluß; eine Minute und vierzehn Sekunden lang.

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Zwiegespräche unter Freunden, die viel Zeit füreinander haben, locker und doch bestimmt, führen Trompeter Clark Terry und der Bassist Red Mitchell. Vieles versteht sich ungesagt, ungespielt, es gibt Andeutungen und Rückfragen bei den gemeinsamen Gängen durch ein Repertoire von Ellington- und Basie-Themen. Daß diese legeren Gänge des melodischen West- Coast-Bassisten und des souveränen Trompeters und Gratwanderes zwischen Swing und Modern (Terry spielte bei Ellington, Basie, mit eigener Big Band und auf vielen Jam Sessions) an Abgründen entlangführen, ist nicht zu hören. Aber jedes Ausrutschen würde Spieler und Hörer zusammenzucken lassen. Denn das subtile Geflecht zwischen Baß und Trompete oder Flügelhorn verzeiht keine Fehler. Doch Clark Terry wandelt mit der Routine des kreativen Profis auf dem zerbrechlichen harmonischen Gerüst, das Mitchell ihm baut. Der deutet den Rhythmus vielfach nur an, wechselt zwischen single notes und zart auf seinem klangvollen, resonanzreichen Baß gezupften und geschlagenen Akkorden. Ab und zu spielt er Klavier, auf zwei Stücken singt er, ein bißchen rauh und atemlos. Terry setzt gern Dämpfer ein, liebt die tiefen Lagen, behält immer seinen weichen, kuscheligen, federnden Ton. Auch auf der gestopften Trompete klingt er nie distanziert, sondern ganz nah bei Mitchell und beim Hörer. Bei aller Lässigkeit geben die beiden sowohl den zeitlos-schönen Ellington-Kompositionen als auch dem raschen Witz und Swing der Stücke von Neal Hefti und Harry Edison ihren ganz persönlichen Charakter.

Albert Mangelsdorff: „Purity“, Mood 33.631 (über Zweitausendeins)

Clark Terry & Red Mitchell: „Jive At Five“, enja 6042

ZWIEGESPRÄCHEMITWAL