Der Kampf um die letzten Kunden

Im sogenannten Spitzenspiel spielten der Hamburger SV und der VfB Stuttgart friedlich 1:1 Die Hamburger ließen allerbeste Torchancen ungenutzt verstreichen und verärgerten die Fans  ■ Aus Hamburg Jan Feddersen

Christoph Daum, Trainer der ambitionierten Männer vom VfB Stuttgart, wußte am Ende der 90 Minuten beim Hamburger SV ganz genau, was er vom 1:1-Endergebnis zu halten hatte: „Bei den wenigen Chancen, die wir hatten, war das ein Punktgewinn.“ Gerd-Volker Schock pflichtete ihm kollegial bei: „Ein Punktverlust“, sagte er feingeistig, „bei den vielen Chancen.“

HSV-Präsident Jürgen Hunke gewann den Darbietungen vorwiegend ästhetische Reize ab: „Das Spiel hat mir gefallen.“ Nur mit der Zuschauerausbeute — 26.000 Männer und Frauen im Volksparkstadion — war er unzufrieden. „40.000 wären besser gewesen. Nun müssen wir kämpfen, die zurückzuholen.“ Kämpfen — seit Hunkes Inthronisation im vergangenen November gilt der Fight auf allen Ebenen wieder als hohe Tugend beim HSV —, man ringt, um mit Hunke zu sprechen, um „Marktanteile“, verläßt sich mithin nicht mehr auf das „Label HSV“ an sich.

Und Gerd-Volker Schock ist sportlich gesehen Hunkes Zwillingsbruder — nur etwas volkstümlicher gewandet. Kämpfen, hat er seinen Jungs eingebleut, kämpfen müssen sie, „in der Bundesliga wird einem nichts geschenkt“. Manchmal verweigern die Spieler seine Order, wie kürzlich vor eigenem Publikum gegen die Stuttgarter Kickers, als die Elf wie im Koma liegend ein 0:3 hinnahm. Gegen die prominentere Ortskonkurrenz vom VfB funktionierte die neue Moral hingegen vorzüglich.

Schon in der vierten Minute gelang den Hamburgern der Führungstreffer durch den aus dem Frankenland eingekauften Rechtsaußen Harald Spörl. Die Vorarbeit zu diesem Treffer leistete der Pole Jan Furtok, der die indisponierten Stuttgarter Schäfer und Dubajic wie Slalomstangen umkurvte und auf den aus Italien eingekauften Heribert Waas flankte. Zwar scheiterte dieser bei seinem Torschuß an VfB-Keeper Immel, doch den Abpraller versenkte nämlicher Spörl cool im Tor.

Und überhaupt: Spörl war der Spieler der ersten halben Stunde, was ihm später ein Lob des Bundestrainers Hans-Hubert Vogts eintrug. Unentwegt provozierte er die Stuttgarter Abwehr mit Schäfer, Dubajic und Frontzek zu Fehlpässen, auf daß die Zuschauer sich ernsthaft gefragt haben mochten, weswegen ausgerechnet so eine Gurkentruppe es bis zum Tabellenführer gebracht hat. In der 17. und 30. sowie besonders in der 42. Minute hätte Spörl seiner Mannschaft zum Sieg verhelfen können — hätte.

Als die Hamburger sich nach gut 30 Minuten ein kleines Verschnaufpäuschen gönnten, zeigten die Schwaben, daß mit Kampf allein kein Spiel zu gewinnen ist, eine Idee von Cleverneß dem Tabellenvierten noch abgeht: Michael Frontzek, läuferisch und ohne Ball bis dahin ein Genuß, zirkelt einen Freistoß vor dem HSV-Tor mitten durch die HSV-Männermauer direkt unter dem Körper von HSV-Torwart Richard Golz durch ins Tor — 1:1. Immerhin war der HSV-Schlußmann auf seinem Posten, als ihn in der 38. Minute Manfred Kastl per Kopfball zur Flugparade verleitete; sechs Minuten darauf traf Strehmel nur den Pfosten des HSV-Tores.

Nach dem Wechsel hatten die Stuttgarter ihre Gegner endgültig im Griff. Und der „Schwaben-Express“ (HSV-Blatt 'Live aktuell‘)? Offenbar in froher Erwartung des einen Punktes, den zu entführen aus Hamburg ihm zuletzt im Dezember 1983 gelang, konzentrierte er sich auf die Verteidigung, Motto: Der Zweck heiligt die Mittel.

Furtok, Waas, Spörl oder auch Eck: Alle HSV-Versuche, sich doch noch eine Bresche zu schlagen, scheiterten nicht zuletzt an der holzigen Art, die der schwäbische Defensivblock zelebrierte, wie nur Spitzenmannschaften mit Meisterschaftsträumen es vermögen. Fünfmal verwarnte der Schwarzrock den VfB mit gelber Karte; Günther Schäfer schickte er gar vom Platz, nachdem er am Boden liegend per Hacke Furtoks Oberschenkel malträtierte.

Was nun Christoph Daum für eine „typische Bewegung, wenn man sich wieder hinsetzen will“, hielt, sah Schock freilich anders: „Dann hat er wohl per steigendem Druck noch nachgeholfen.“ Und doch: Friede über'm Volksparkstadion, trotz ausbleibender Katharsis, trotz des eigentlich doch fehlenden HSV-Siegtores. Während Daum froh war, „weiter in der Spitzengruppe“ zu bleiben, war Schock ganz Ehrenmann: „Ich bin stolz, daß wir auch in der Spitzengruppe sind.“

Offen blieb eigentlich nur, wann das Hamburger Publikum dem HSV dessen üble Vorstellungen der Jahre 1984—1988 verzeihen wird. Hunke: „Wir werden um jeden Kunden kämpfen.“ Von Liebe keine Spur?

Hamburger SV: Golz - Rohde - Beiersdorfer, Kober - Spörl, Hartmann (77. Nando), von Heesen, Matysik, Eck (89. Eckel) - Furtok, Waas.

VfB Stuttgart: Immel - Dubajic - Schmäler, Schäfer - Schneider, Buchwald, Strehmel, Gaudino, Frontzeck - Walter, Kastl (55. Sverisson).

Zuschauer: : 26.000. Tore: 1:0 Spörl (4.), 1:1 Frontzeck (37.).