Bergarbeiter ziehen plündernd ab

■ In Rumänien wurde gestern über eine „Regierung der nationalen Öffnung“ verhandelt

Berlin (taz) — Die Scherben vor dem Universitätsplatz in Bukarest sind weggeräumt. In der Stadt ist nach den stürmischen Tagen wieder Ruhe eingekehrt: die Bergarbeiter haben die Stadt verlassen. Zwar kam es sogar noch in den Morgenstunden des Samstags auf dem Universitätsplatz zu einer Auseinandersetzung zwischen Demonstranten und der Polizei, bei der die Ordnungskräfte Tränengas und Leuchtraketen einsetzten und bei der es wiederum einige Verletzte gab, doch die letzten Bergarbeiter fügten sich und verließen die Stadt. Auf dem Weg in ihr Kohlerevier in Jui wurden noch einige Bahnhofskioske in Craiova geplündert. Zurückgeblieben sind nach Schätzungen aus Bukarest 12 bis 20 Tote — die Agenturen sprechen von vieren — und politische Ratlosigkeit.

Immerhin versucht die Demokratische Opposition, die Bürgerallianz, das politische Vakuum mit durchaus vernünftigen Forderungen auszufüllen. Sie forderte gestern eine neue Regierung, die zur Hälfte aus Mitgliedern des „Nationalkonvents zur Schaffung der Demokratie“ bestehen soll. In diesem Konvent sind die Bürgerallianz, die Liberale Partei, die ungarische Partei, die Sozialdemokraten wie auch die Ökologische Partei zusammengefaßt. Auf dem Kongreß der Bauernpartei, der noch bis gestern tagte, forderten die Delegierten, jegliche Zusammenarbeit mit dem Regime zu vermeiden. Die Regierung habe seit zwei Jahren das Land in eine noch größere Krise, als sie schon unter Ceausescu bestand, hineingeführt. Es sollte sofortige Neuwahlen geben und bis dahin ein aus Technokraten gebildetes Übergangskabinett.

Viele Menschen, nicht nur im Ausland, auch in Rumänien, fragen sich, was eigentlich passiert ist. Als am Mittwoch Tausende von Bergarbeitern in die Stadt einfielen, wurden viele an die brutalen Aktionen der Bergarbeiter vom Juni 1990 erinnert, als sie mit der offenen Unterstützung Iliescus Jagd auf Oppositionelle machten. Diesmal gingen die Bergarbeiter allerdings gegen die Regierung vor. Interimsministerpräsident Petre Roman, der zunächst zurücktrat, nun aber doch die Geschäfte „provisorisch weiterführt“, spricht von einem „neokommunistischen Putschversuch“. Er stützt sich dabei auf die sozialen Forderungen der Bergarbeiter, die höhere Löhne forderten und damit gegen die Wirtschaftsreform Stellung nahmen. Andere sehen die Neostalinisten „Soziale Partei der Arbeit“ am Werk, die aber wie die Bergarbeiter selbst dies flugs dementierte. Und ob das Gerücht, die „Partei Großrumänien“ habe das Feuer entfacht, ausreicht, um die Bergarbeiter in die nationalistische Ecke zu stellen, sei dahingestellt. Die Radikalität der Aktion weist auf ein tieferes Problem: In Rumänien ist es immer noch möglich, daß eine Gruppe mit Terror ihre Ziele durchzusetzen sucht. Zu dieser politischen Kultur gehört auch: Iliescu hat sein Versprechen, ins Jui- Tal zu fahren, zurückgezogen. Erich Rathfelder