Mit langen Leitungen auf du und du

■ Teure Verbindung nach Rio * Brasiliens Telefonpreise steigen schneller als Inflation

Rio de Janeiro (taz) — Weder Goldbarren noch US-Dollar — ausgerechnet der Verkauf einer defekten Telefonleitung ist in Brasilien zur Zeit die beste Geldanlage. Wer im August in Sao Paulo eine Telefonleitung auf dem Schwarzmarkt erstand, mußte dafür 25 Prozent mehr als im Vormonat hinblättern. Bei einer Inflationsrate von 13 Prozent im Juli machte der Leistungsverkäufer einen satten Gewinn.

Ursache des blühenden Schwarzmarktes mit den heißen Drähten ist der Geldmangel bei der staatlichen Telefongesellschaft Telebras. In Sao Paulo wurden im vergangenen Jahr gerade 54.000, in Rio 52.000 Neuanschlüsse verlegt. Über eine Million Sao Pauloer warten auf ihre Verbindung mit der Außenwelt. In ganz Brasilien fehlen rund 6,5 Millionen Telefonzentralen.

Auf dem Schwarzmarkt erreichen die Telefonpreise astronomische Höhen. In Sao Paulo kostet ein Anschluß mit 5.200 Dollar ungefähr soviel wie die Anschaffung eines neuen Kleinwagens. In Rio sind die heißen Drähte für umgerechnet 3.000 Dollar zu haben. Wer sein Telefon auf dem üblichen Weg bei der Post bestellt, muß für den Privatgebrauch 1.500 Dollar, für geschäftliche Zwecke 2.500 Dollar aufbringen. Bis zur tatsächlichen Verlegung des legalen Anschlusses können allerdings bis zu fünf Jahre vergehen.

An der schwarzen Telefonbörse von Sao Paulo wechseln pro Monat 220 Anschlüsse ihre Besitzer. „Wer ein Telefon kauft, macht ein gutes Geschäft. Der Wert steigt jeden Monat mehr als die Inflation“, sagt Börsenvorsitzender Edmon Rubies, seit über 25 Jahren im Geschäft. Wem dies zu teuer sei, könne für drei Prozent des Anschaffungspreises im Monat auch eine Leitung mieten. Dies sei besonders für Firmen attraktiv, da sie 35 Prozent der Miete von der Steuer absetzen könnten.

Ob das teure Telefon auch funktioniert, ist eine andere Frage. Wegen der Überlastung des Leitungsnetzes kommen nach Angaben der Telebras nur zwei Drittel der gewählten Verbindungen zustande. In den großen Ballungszentren wie Rio, Sao Paulo und Brasilia ist die Lage noch kritischer. Die brasilianische Post macht für die Kommunikationskrise unter anderem die niedrigen Tarife verantwortlich, die hinter der Inflation hinterherhinken.

Um der aufgestauten Nachfrage entgegenzukommen, will Telebras nun einige Dienstleistungen privatisieren. Seit kurzem können Firmen bei den staatlichen Telefongesellschaften eine Konzession für die Einrichtung von Telefonzentralen beantragen. Die Kosten tragen die daran interessierten BewohnerInnen eines Stadtviertels selbst. Nach der Installation kommt die Anlage dann wieder unter staatliche Aufsicht.

In Rio hat sich Gouverneur Leonel Brizola etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Er will in den nächsten drei Monaten rund 1.000 geschwätzigen BeamtInnen die Leitungen kappen und diese dann öffentlich versteigern. Der Coup würde dem Bundesstaat nicht nur eine zusätzliche Einnahme von 2,4 Millionen Dollar bescheren, sondern zusätzlich jeden Monat eineinhalb Millionen Dollar Telefonkosten einsparen. Ob Brizola bei seinem Entschluß auch an seine eigenen zahlreichen Telefone gedacht hat? Astrid Prange