Brasilien: Mit faulen Eiern gegen die Privatisierung der Industrie

Versteigerung des Stahlkonzerns Usiminas ausgesetzt/ Widerstand zieht sich durch alle Parteien  ■ Aus Rio Astrid Prange

Mit einem Karateschlag wollte er die Inflation zertrümmern. Eine Privatisierung pro Monat sollte den lahmen Giganten Lateinamerikas in eine dynamische Industrienation verwandeln. Doch 18 Monate nach seinem Amtsantritt ist Brasiliens Präsident Fernando Collor de Mello am Ende seines Politikerlateins. Die Inflation ist wieder auf 20 Prozent im Monat geklettert und noch nicht ein einziger Staatsbetrieb privatisiert. In seiner Verzweiflung verdonnerte Präsident Collor in dieser Woche seine Minister dazu, endlich „wie Machos zu handeln oder die Regierung zu verlassen“.

Jüngstes Beispiel einer gescheiterten Privatisierung ist der Stahlkonzern Usiminas. Die Versteigerung der Aktien des Staatsbetriebs, der 1990 einen Jahresumsatz von 1,8 Milliarden Dollar erwirtschaftete, wurde in letzter Minute durch einen Gerichtsentscheid vereitelt. Hauptstreitpunkt ist die Zahlungsart. Staatsanwalt Aristides Junquira legte Einspruch dagegen ein, daß die Aktien im Wert von 1,5 Milliarden Dollar mit den Titeln der brasilianischen Auslandsschuld erworben werden können. Da diese Papiere auf dem internationalen Markt nur zu einem Drittel ihres nominalen Wertes gehandelt werden, wäre das für die zahlreichen Interessenten ein optimales Geschäft.

Die Entrüstung über diesen „Ausverkauf nationalen Volksvermögens“ veranlaßte zahlreiche Anhänger der Gewerkschaftsbewegung, jeden Anzugträger, der in der vergangenen Woche die Börse in Rio de Janeiro betrat, mit faulen Eiern und Tomaten zu bewerfen. Jair Meneguelli, Vorsitzender von Brasiliens größter Gewerkschaft CUT, empfahl den 12.600 Arbeitern und Angestellten von Usiminas, die Fabrik in Ipatinga zu besetzen, um die Privatisierung zu verhindern. „Die Regierung hat der Öffentlichkeit bisher nicht erkärt, warum sie den Betrieb, der neun Milliarden Dollar wert ist, für eine Milliarde Dollar verschleudern will“, kritisierte der Gewerkschaftsführer.

Rios Gouverneur Leonel Brizola sprang ihm zur Seite: „Das Argument der Regierung, als erstes eine lukrative Firma zu verkaufen, um dadurch das Interesse von Investoren für künftig weniger gewinnträchtige Privatisierungen zu gewinnen, ist absurd. Wenn wir die strategischen Bereiche unserer Wirtschaft dem privaten Interesse ausliefern, gehen wir das Risiko ein, daß unsere Industrie verschrottet wird und wir in die Abhängigkeit geraten, genau wie in Argentinien“, sagte der Sozialdemokrat. Der Widerstand gegen die Privatisierung kommt nicht nur aus den Oppositionsparteien. Vorige Woche erinnerte Collor seinen Stellvertreter Itamar Franco daran, daß die Privatisierung Bestandteil des Regierungsprogrammes ist.

Collor verteidigt den niedrigen Verkaufspreis für den Stahlkonzern mit dem Argument, daß der Betrieb in den nächsten vier Jahren Investitionen in der Größenordnung von vier Milliarden Dollar brauche, die der Staat nicht aufbringen könne. Die Privatisierung sei die einzige Möglichkeit, sowohl den Betrieb als auch die Arbeitsplätze zu erhalten. Um die indignierten Käufer zu beruhigen, wurde am Freitag der neue Versteigerungstermin auf den 15.Oktober festgelegt. Das Versprechen könnte sich als voreilig erweisen. Denn die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über die Rechtmäßigkeit der Privatisierung fällt erst am 8.Oktober. Sollte der Beschluß negativ ausfallen, müßten die Verhandlungen erneut abgesagt werden. Der Aufschub der Versteigerung hat den Absatz von brasilianischen Papieren auf den internationalen Aktienmärkten ins Stocken gebracht. Seit Donnerstag blieben die Titel der drei großen Staatsbetriebe Petrobras, Telebras und Vale do Rio Doce, die in den letzten Monaten 910 Millionen Dollar Devisen ins Land brachten, ohne Käufer.

Dennoch ist die Liste der Usiminas-Interessenten lang. An erster Stelle steht der japanische Gigant Nippon Steel, der bereits 12,88 Prozent der Usiminas-Anteile besitzt. Die belgisch-brasilianische Stahlfirma Belgo-Mineira will in jedem Fall 51 Prozent der Aktien erwerben.

Die Geldinstitute sind etwas zurückhaltender. „Es wäre unvorsichtig, in dieser Situation an einer Versteigerung teilzunehmen“, ließ Fernao Bracher, Direktor der BBA Creditanstalt, verlauten. Die BBA will zusammen mit acht anderen europäischen Banken 90 Millionen Dollar investieren. Die 'Financial Times‘ hat ihr Urteil über Brasilien bereits gefällt: „Dies ist kein seriöses Land“, ließ die einflußreiche Wirtschaftszeitung ihre Leser am vergangenen Mittwoch wissen.