„Klare Sache: Zwei Mercedes sind fällig!“

Seit zwei Wochen protestieren Aretsrieder offen gegen das Gebaren des Milch-Multis Müller/ Vorwürfe: Grundwasserdiebstahl, Pfandmogeleien, Millionenpoker um Bau einer Kläranlage/ „Wir leiden unter Dauerlärm“  ■ Von Klaus Wittmann

Aretsried/Fischach (taz) — In der 260-Seelen-Gemeinde Aretsried und der zuständigen Einheitsgemeinde Fischach hat sich in den letzten Wochen viel verändert. Vorbei sind die Zeiten, als die Menschen im Dorf nur hinter vorgehaltener Hand gegen den Molkereiriesen Müller-Milch vom Leder zogen.

Die ganzen Diskussionen um den „Grundwasserdiebstahl“ der Erfolgsmolkerei, die Umgehung der Pfandpflicht für Fruchtdrinks und vor allem der Millionenpoker um den längst überfälligen Bau einer betriebseigenen Kläranlage haben die Menschen aufgebracht.

Als am Montag abend die Fischacher CSU zu einer Podiumsdiskussion geladen hatte, zogen die Aretsrieder und Fischacher Bürger so richtig vom Leder. „Ein Saustall ist das mit den zwei Millionen!“ rief ein Landwirt empört. Ein anderer pflichtete ihm bei: „Unsere Kläranlage pfeift aus dem letzten Loch. Es geht ein Umwälzmotor nach dem anderen kaputt, weil der Klärschlamm von der Firma Müller so konzentriert ankommt, daß sie's nicht mehr schafft. Die zwei Millionen sind völlig unberechtigt.“ Und ein Mann im Trachtenjanker bezeichnete die Summe gar als Skandal. „Müller müßte eigentlich dafür zahlen, daß er immer viel zu viel einleitet. Es stünde ihm gut zu Gesicht, wenn er auf dieses Geld verzichten würde.“

Die zwei Millionen, von denen an diesem Abend immer wieder die Rede war, haben endgültig das Faß zum Überlaufen gebracht.

Vor kurzem hat nämlich der Gemeinderat von Fischach mit nur einer Stimme Mehrheit von CSU und Freien Wählern entschieden, der Müller-Milch zwei Millionen Abfindung dafür zu zahlen, daß der Milch- Multi endlich eine eigene Kläranlage baut. Diese Entscheidung fiel gegen die Stimme des Bürgermeisters Josef Fischer, der als Parteiunabhängiger bei der letzten Kommunalwahl auf der SPD-Liste gewählt wurde.

Fischer hat einen guten Grund für sein Verhalten. Als nach einem einstimmigen Beschluß des Gemeinderats der Rathauschef im Mai 1990 die Müller-Abwässer messen ließ, kamen wahre Horrorwerte ans Tageslicht. Statt der genehmigten und bezahlten 4.000 „Einwohnerwerte“ leitete Müller an den drei Meßtagen bis zu 19.000 ein. Trotzdem ist nach Ansicht von Müller-Geschäftsführer Gerhard Schützner eine Ablöse fällig, weil der Bau der eigenen Anlage die Gemeindekläranlage entsprechend entlaste und daher sich die Gemeinde eine teurere Erweiterung sparen kann.

Ein Großteil der Zuhörer im Saal sah das anders. Wohl selten dürfte ein Abgeordneter der Grünen bei einer CSU-Veranstaltung soviel Applaus bekommen haben wie der Landtagsabgeordnete Raimund Kamm, der das „einseitig besetzte Podium“ geißelte, Einwohnerwerte einer Kläranlage seien doch keine Aktien, die an der Börse gehandelt würden.

„Ich gehe heute nicht auf Details ein, ich habe über 660 Mitarbeiter im Hause und kann nicht über alles informiert sein“, gab da unter starken Unmutsbekundungen der Zuhörer der Landrat von Augsburg, Karl Vogele (CSU), zum besten. Er sollte nämlich eine Antwort darauf geben, warum auf Anfrage des Bürgermeisters nach der Rechtmäßigkeit der Zwei-Millionen-Zahlung es zunächst „Nein“ hieß und später dann der offizielle Bescheid „Rechtlich zulässig“ kam. „Warum sitzen Sie denn heute überhaupt im Podium, wenn Sie immer nur auf Ihre Sachbearbeiter verweisen?“ erboste sich denn auch ein Bauer aus Aretsried.

Als der Unmut bei den Zuhörern immer unüberhörbarer wurde, als so manch bitterer Vorwurf bis an die Ohren der Herren am Podium (zwei Landräte, ein Gemeinderat, ein ehemaliger Gemeinderat, ein Ortsvorsitzender und der Müller-Geschäftsführer) drang, da meinte der Gemeinderat der Freien Wähler, Karl- Heinz Gendner: „Wer sagt, wir seien bestochen worden, lügt. Dafür lege ich meine Hand ins heißeste Feuer.“

Aber von Bestechung hatte gar niemand im Saal gesprochen.

Irgendwann sprang der Müller- Geschäftsführer den Kollegen am Podium bei. „Die Kläranlage ist zu spät gebaut worden. Das war ein großer Fehler von Müller und der Gemeinde.“ Sprach's und versicherte, daß Müller-Milch keineswegs die Grundwasserversorgung der Region gefährden wolle.

Damit war der Ring frei für all die anderen Themen, die die Aretsriedener und Fischacher seit langem beschäftigen. „Der Müller schafft Arbeitsplätze, das stimmt. Aber ich kann doch auch verlangen, daß meine drei Kinder, meine Frau und ich auch noch einigermaßen ruhig schlafen können“, platzte es aus Fridolin Ringler, einem unmittelbaren Müller-Nachbarn, heraus. „Wir haben seit zehn Jahren eine riesige Baustelle vor dem Haus. Ich frage mich, ob das noch ein Leben ist, neben einer solchen Molkerei, die immer als Saubermann dasteht.“

Elisabeth Wiedemann aus Aretsried, die Theo Müller schon kannte, als „er noch mit seiner Mutter im Schweinestall war“, bewundert nach eigenem Bekunden den unternehmerischen Erfolg des Milchbarons. „Ich hab' Achtung davor, daß der es so weit gebracht hat, aber wir leiden dermaßen darunter, das ist unvorstellbar. Er kennt unsere Bedenken, aber der geht überhaupt nicht darauf ein. Er ist schon vor zehn oder 15 Jahren nach Aystetten gezogen, weil seine Frau den Lärm nicht mehr ertragen hat. Uns fehlen aber die Millionen dazu.“

Diskussionsleiter Professor Lutz Haegert, der zuvor vom Podium herab seine Vermieterin freundlich begrüßte, sie für ihre zivilen Mietsteigerungen lobte und nicht oft genug dem Abgeordneten Kamm das Wort abschneiden konnte, „weil das nicht zur Sache ghärt“, reagierte auf die Klagen der Frau Wiedemann und des Herrn Ringler mit dem Tip an den Müller-Geschäftsführer: „Also, Herr Schützner, die Sache ist klar. Zwei Mercedes sind fällig!“

Auf dem Heimweg spätabends dann, wenn man vorbeifährt an den riesigen, hellbeleuchteten Produktionshallen von Müller-Milch, fällt einem unweigerlich dieser Satz des Gemeinderates Gendner ein: „Es ist bestimmt nicht unbekannt, daß die Firma Müller 90 Prozent des Gewerbesteueraufkommens bezahlt. Da kann ein Gemeinderat nicht vorbeischauen.“