Lebensgefahr in Gesamtdeutschland

■ Tausende waren am Sonntag dem Aufruf zur Demonstration in Hoyerswerda gefolgt. "Stopp der Menschenjagd" und "Ausländer bleiben, Nazis vertreiben", lauteten die Parolen. Im Westen der Republik indes...

Lebensgefahr in Gesamtdeutschland Tausende waren am Sonntag dem Aufruf zur Demonstration in Hoyerswerda gefolgt. „Stopp der Menschenjagd“ und „Ausländer bleiben, Nazis vertreiben“, lauteten die Parolen. Im Westen der Republik indes kurbelten Rechtsradikale die Spirale der Gewalt gegen Fremde weiter an.

Ist hier die Demo?“ fragt ein junger Mann. „Ja, dann will ich warten.“ Dezentral fing sie an, die angekündigte Demonstration gegen „Ausländerfeindlichkeit und Rassismus“ in Hoyerswerda. Bis 15 Uhr haben sich die angereisten DemonstrantInnen nicht gefunden. Die bestens präsente Polizei weist ihnen nicht den Weg in die Thomas-Müntzer-Straße, dorthin, wo um 14 Uhr die Kundgebung hätte stattfinden sollen.

Am späten Nachmittag stoßen DemonstrantInnen und Polizei zusammen, nachdem die Beamten an zwei Stellen den Protestzug blockiert haben, offensichtlich, weil sich Vermummte im Demonstrationszug befinden. Polizei und Bundesgrenzschutz drohen den Einsatz von Wasserwerfern an. Daraufhin fliegen Steine und Leuchtkugeln.

Etwa 4.000 Leute beteiligen sich an der Demonstration. Der Presse wird mitgeteilt, daß aus der Berliner Autonomenszene 250 Autos angekommen sind. Landrat Schmitz weiß auch von Bussen aus Hamburg, Frankfurt und Göttingen, die sich „in Marsch gesetzt“ haben und im Laufe des Nachmittags eintreffen sollen.

Eine Auseinandersetzung zwischen linken und rechten Gruppierungen hatten die Polizeiverantwortlichen nicht gefürchtet. Angeblich hatten sie keine Erkenntnisse, daß aus Neubrandenburg in der Nacht Busse abgefahren waren mit rechtsradikalen Jugendlichen, die direkt vom Parteitag der „Republikaner“ nach Hoyerswerda reisen wollten. In der Nacht hob die Polizei unter Büschen entlang der Stadtgrenze sechs Verstecke aus, in denen Baseballschläger deponiert waren.

Die Lage sei ruhig, hieß es noch im Polizeibericht vom frühen Nachmittag. Besonnenheit herrsche auf allen Seiten vor, sagte Landrat Wolfgang Schmitz. Seine Partei, die CDU, hat sich nicht dem Demo-Aufruf angeschlossen, ebensowenig wie die anderen örtlichen politischen Gruppierungen.

Der Superintendent der evangelischen Kirche mahnte in der Sonntagspredigt, Abstand von der Gewalt zu nehmen. In der Kirche fiel denn auch ein Wort des Bedauerns, daß es in den vergangenen Wochen nicht gelungen ist, die Gewalt gegen Ausländer zu verhindern.

Die BürgerInnen von Hoyerswerda wurden von der gestrigen Demonstration überrascht. Niemand hatte sie vorbereitet, auch waren keine Flugzettel in ihre Briefkästen gesteckt worden, wie der Bürgermeister noch bei der vorangegangenen Pressekonferenz behauptet hatte. Aber in Hoyerswerda nehmen die Menschen vieles mit stoischer Ruhe hin.

Als die ersten Polizeifahrzeuge am Mittag anrücken, die Ambulanzen ihre Stellung gegenüber dem Häuserblock beziehen, da verwandelt sich die Thomas-Müntzer- Straße in die Kulisse der vergangenen Woche. Ältere Frauen und Männer legen sich die Kissen in die Fenster und warten darauf, daß was passiert. Was sie von den angereisten DemonstrantInnen halten, ob sie eine Gegendemo gutfinden? Dazu geben die meisten AnwohnerInnen der Thomas-Müntzer-Straße keine Auskunft. Ein fester Blick in die Augen der Befragerin signalisiert: Komm mir nicht nahe. Bestenfalls wird noch hinterher genuschelt: „Kein Kommentar.“ Gesprächsbereite Menschen sind die Ausnahme. Über das Für und Wider der Demonstration redet man nicht öffentlich. Da bildet Udo Wieczorek aus dem Haus Nr.20 schon eine Ausnahme.

Im März ist der Bergmann hierher gezogen, froh, endlich eine Vierzimmerwohnung gefunden zu haben, auf die ausländischen Nachbarn habe er sich anfangs gefreut. Aber das Zusammenleben gestaltete sich bald kompliziert. Natürlich seien die Nachbarn laut gewesen, bis weit nach Mitternacht hätten sie gefeiert. Für den Bergmann war dies eine beträchtliche Störung, um vier Uhr früh muß er aufstehen. Daß aber alle Asylbewerber fortgeschafft werden, findet Wieczorek „nicht in Ordnung“, zumal das erste Bürgergespräch über die Probleme, die die unterschiedlichen Nachbarn miteinander hatten, seine Wirkung zeigte und nach Mitternacht Ruhe einkehrte. „Schade“, sagt Wieczorek, das Zusammenleben fing erst an. Annette Rogalla, Hoyerswerda