Wie warne ich mein Kind vor mir selbst?

■ Auf einer Polizeipressekonferenz über sexuellen Mißbrauch an Kindern wurde auf die Verantwortung der Eltern selbst hingewiesen/ Erziehung zum Gehorsam führe zu Hilflosigkeit gegenüber den Tätern

Tempelhof. Sexueller Mißbrauch an Kindern wird am häufigsten von Tätern aus dem Bekanntenkreis verübt. Von den angezeigten Vorfällen jedoch sind dreiviertel der Täter den Opfern unbekannt. Das ergab die Polizeistatistik von 1990. Nach dieser wurden 643 sexuelle Übergriffe auf Kinder angezeigt. »Die Dunkelziffer liegt aber wesentlich höher«, sagte Kriminaloberat Winfried Roll gestern auf einer turnusmäßigen Pressekonferenz. Nach seiner Schätzung auf der Grundlage entsprechender Studien würden ein Viertel aller Berliner Mädchen und ein Siebtel aller Jungen sexuell mißbraucht.

1990 hatte die Polizei die Hälfte der angezeigten Vorfälle aufklären können, in denen man ein Kind unter 14 Jahren zu sexuellen Handlungen gezwungen hatte oder an dem solche vorgenommen wurden. Dazu zähle auch, wenn sich ein Mann vor einem Kind entblöße.

Kriminalhauptkommissar und Zuständiger für sexuellen Mißbrauch an Mädchen, Michael Pawelleck, konnte zwar keine getrennten Angaben über Ost- und West-Berlin machen. »Aber die Mißbräuche sind in dem Maße gestiegen, wie die Stadt gewachsen ist. Das heißt um rund 50 bis 60 Prozent«, sagte er. »Das eigentliche Problem sind die Mißbräuche in der Familie«, fuhr Pawelleck fort. Denn die Familienmitglieder zeigten diese fast nie an. Die Präventivmaßnahmen hätten daher nur Sinn, wenn sie auch die Betroffenen erreichten — vor allem die Eltern.

»Aber bei Informationsveranstaltungen in Schulen und Kindertagesstätten kommen nicht die Eltern, in deren Familien sexuelle Mißbräuche vorkommen«, sagte Roll. Die Polizei hatte Informationsbroschüren zum Schulanfang herausgegeben, die Aktion sei aber schlecht angekommen, weil die eigentlichen Betroffenen sich nicht angesprochen fühlten. Ein potentieller Täter aus der Familie müßte sich ja dann die Frage stellen: »Wie warne ich mein Kind vor mir selbst?«

Pawelleck sagte mit Nachdruck, daß Eltern ihre Kinder rechtzeitig und sachgerecht über sexuelles Fehlverhalten von Erwachsenen aufklären müßten. Sie sollten das Selbstbewußtsein der Kids stärken und keine Angst schüren. Denn ängstliche Kinder könnten im entscheidenden Moment nicht die richtige Entscheidung treffen. Der Kriminalhauptkommissar sagte, daß ein Teil der Verantwortung für die Übergriffe auf Kinder oft auch bei den Eltern liege. »Viele erziehen ihre Kinder zum Gehorsam gegenüber Erwachsenen.« Dabei sei es in Situationen des sexuellen Mißbrauchs viel wichtiger, daß die Kinder nein sagen können und weglaufen. Er warnte davor, daß Kinder sich von fremden Männern ansprechen und mit Süßigkeiten oder falschen Versprechungen weglocken lassen. sl