Verfrühte Euphorie

■ Zu den Abrüstungsversprechen von USA-Präsident Bush

Verfrühte Euphorie Zu den Abrüstungsversprechen von USA-Präsident Bush

Wie auf den meisten anderen Politikfeldern kommt es auch bei Rüstungsfragen inzwischen vor allem auf gute Public Relations an. Und auf diesem Gebiet übertrifft George Bush sogar noch seinen oft als „großen Kommunikator“ titulierten Vorgänger Ronald Reagan. Als Bush im Mai dieses Jahres endlich das US-Binärwaffenprogramm aufgab und damit die jahrelange Blockade der Genfer Chemiewaffenverhandlungen beendete, verkauften die Washingtoner Politikstrategen diesen lange überfälligen Schritt als „bedeutende Abrüstungsinitiative“. Weltweit wurde diese euphorische Vokabel von Medien und Politikern übernommen.

Mit seiner Rede vom letzten Freitag zur Verringerung der Atomwaffen konnte Bush diesen Public-Relations-Erfolg wiederholen. Erneut bewies er hervorragendes Gespür für den richtigen Ton und das richtige Timing — vor allem mit Blick auf den Zerfallsprozeß in der Sowjetunion und bevorstehende Niederlagen bei den Haushaltsberatungen des US-Kongresses. Auch diesmal räumte der US-Präsident vor allem selbst aufgestellte Hürden aus dem Weg: die von Bush angekündigten Maßnahmen beziehen sich fast ausschließlich auf Waffensysteme, deren Verschrottung, Reduzierung oder zumindest Einbeziehung in Rüstungskontrollverhandlungen seit langer Zeit nicht nur von der Sowjetunion, sondern auch von zahlreichen westlichen Verbündeten der USA gefordert worden war. Doch besser spät als überhaupt nicht. Die Bedeutung von Bushs Maßnahme, mit der er sich auch gegen hartnäckige Widerstände und Seilschaften in der eigenen Administration durchsetzte, wird durch den Zeitpunkt ihrer Verkündung nicht geschmälert.

Problematisch — und nicht zuletzt auch ein Erfolg geschickter Public Relations — ist allerdings die euphorische Überbewertung der Initiative auf der Basis schlicht falscher Tatsachenbehauptung. Von der Vernichtung eines ganzen Arsenals Atomwaffen kann nicht die Rede sein, auch verzichtet Bush nicht auf die gerade erst beschlossene Neuentwicklung der nächsten Generation von Massenvernichtungswaffen. Zudem wurde Bushs Ankündigung „einseitiger“ Abrüstungsschritte „ohne Vorbedingungen“ schon am Samstag vom Pentagon relativiert. Die meisten Maßnahmen würden nur erfolgen, wenn Moskau entsprechend verfährt, hieß es dort, und bei Bedarf könnten sie auch kurzfristig wieder rückgängig gemacht werden. Dies ist für die Reaktion Moskaus ebenso bedeutend wie die Tatsache, daß Washington an Atomwaffentests, der Entwicklung von Raketenabwehrprogrammen, den ballistischen Atomwaffen auf See wie an der „Modernisierung“ der flugzeuggestützten Arsenale festhält. Kurzum — es bleibt bei der Logik der atomaren Abschreckung — auch wenn diese wegen der Verringerung der Waffen und Sprengköpfe künftig „minimal“ genannt werden soll. Die Befürworter einer „Minimalabschreckung“ sind durch die über vierzigjährige Geschichte des Atomwaffenzeitalters allerdings längst widerlegt. Es gibt keine Definition für „Minimalabschreckung“. Frühere Befürworter, wie US-Verteidigungsminister Mc Namara, der Anfang der 60er Jahre meinte, die Ost-West-Abschreckung lasse sich erfolgreich mit 400 Sprengköpfen auf jeder Seite organisieren, haben längst vor den Realitäten kapituliert: Bislang führte die Eigendynamik der Abschreckungslogik zum vielfachen Overkill durch die Anhäufung von immer mehr Sprengkopf- und Waffenarsenalen. Künftig und — und schon seit einiger Zeit — heißt die Entwicklung bei den Atomwaffen: weniger, kleiner, zielgenauer, flexibler einsetzbar, größere Reichweiten. Auch dieses ist eine Eskalationsdynamik. Die Antwort auf die Frage, gegen wen sich nach dem Zerfall der UdSSR in Europa die „minimale Abschreckung“ eigentlich noch richten soll, bleiben die Befürworter dieses Konzeptes bislang schuldig. Und die Hoffnung, das Instrument der „Minimalabschreckung“ in den Händen einiger weniger Staaten des Nordens sei das geeignete Instrument um die Proliferation von Massenvernichtungswaffen in Krisenregionen des Südens zu verhindern, ist Selbstbetrug. Zumal wenn just diese Staaten — allen voran die USA — derzeit dabei sind, die gefährlichste dieser Krisenregionen, den Nahen Osten, aufzurüsten, so als hätte es das Problem Irak und den Golfkrieg nie gegeben. Andreas Zumach