KOMMENTARE
: Bremer Rotgrün — eine Notgeburt

■ Zum Erfolg der DVU und der Niederlage der Sozialdemokraten bei den Bremer Wahlen

Alle vier Jahre wieder waren die oppositionellen Parteien in der bremischen Landespolitik gegen die absolute Mehrheit der SPD und die „Arroganz“ ihrer Macht angerannt — die an der Weser recht unbedeutende CDU genauso wie die Grünen, die in der liberalen Hansestadt als „Bremer Grüne Liste“ 1979 die ersten Abgeordneten in einem bundesdeutschen Landtag wurden. Aber die Chance des kleinen Stadtstaates, die den Grünen damals ihren Prozenterfolg ermöglichte, sorgte jetzt für die politische Überraschung des Wahlabends: Auch die DVU des Herausgebers der Münchener Nationalzeitung, Gerhard Frey, zieht in den neuen Landtag ein. Die Einbrüche der rechtsextremen Partei in die sozialdemokratische Wählerklientel hatte die SPD schon 1987 aufgeschreckt. Aber das war damals nur in Bremerhaven. Eine flink eingerichtete Kommission „Rechtsradikalismus“ hat ihre Arbeit längst einschlafen lassen — mit Türkeireisen für Jugendliche und Anti-Rechts- Curricula für die Schulen in den einschlägigen Wohnvierteln war sie mit ihrem Latein am Ende.

Daß die Asylpolitik schuld an den Erfolgen der rechtsradikalen NPD-Erben sei, wird derzeit aus Kiel und Bonn nach Bremen hineingerufen. Aber wie denn? Hätte die SPD-Landesregierung weitergehen sollen, als sie es im Juli 1991 tat und das Recht auf Asyl für das kleine Bundesland auf 300 Neuankömmlinge pro Woche begrenzte? Dafür mußte sich der Bremer Bürgermeister bundesweit der Rechtsbeugung schelten lassen. Seit dem Sommer gilt in Bremen „no asyl“ für polnische und rumänische Roma in Bremen. War die SPD-Landesregierung zu humanitär, weil sie den Asylbewerbern Massenunterkünfte zu ersparen suchte, solange das finanziell und organisatorisch zu verkraften war? Der Schwenk der Bremer Asylpolitik kam zu spät, zu unvermittelt, so könnte das Argument Sinn machen. Die Notbremse, die Wedemeier zog, zeigte, daß man auch mit hemdsärmeligen Methoden die „Asylantenflut“ eindämmen kann.

Der katastrophale Einbruch der seit 20 Jahren allein regierenden SPD, kann eher als demokratische Normalität verbucht werden. Zu lange hat die politische Nestwärme ohne die Korrektur einer räumlich entfernten Landespolitik den Stadtstaat regiert. Das Argument vom „Filz“, den Sozialdemokraten jahrelang um die Ohren geschlagen, ist beim Wähler angekommen. Als Nachfolger des populären Bürgermeisters Hans Koschnick hatte die SPD den etwas kontaktscheuen Aufsteiger Klaus Wedemeier aufgebaut. Die SPD-Wähler haben ihm beim erstenmal (1987) noch aus alter Anhänglichkeit die absolute Mehrheit gegeben, nach sechs Jahren Regierungszeit werden seine Schwächen aber nicht mehr akzeptiert. Wedemeier war 1985 mit dem Anspruch angetreten, die Finanzpolitik des verschuldeten Bundeslandes mit starker Hand in Ordnung zu bringen. Die Erfolgsbilanz sieht mäßig aus, die Verschuldung ist hoffnungslos angewachsen.

Zudem hat Wedemeier sich mit einer äußerst schwachen Regierungsmannschaft umgeben, die nur aus den Proporz-Ansprüchen der Unterbezirke der Partei zu erklären ist. Ein Konfliktfeld nach dem anderen mußte er zur „Chefsache“ machen und selbst übernehmen. Der für die Reizthemen Asylpolitik und Verkehrspolitik zuständige Innensenator war die schwächste Figur im Kabinett. Diese Personalpolitik rächte sich — Wedemeier allein war dann eben entschieden zuwenig. Die SPD plakatierte zuletzt nur noch „Klaus wählen“ — Witzbolde malten vor das „w“ ein „q“: „Klaus quälen“. Mehr als ihren „lieben Klaus“ hat diese Partei auch nach der vernichtenden Wahlniederlage nicht mehr zu bieten — der Bremer SPD-Landesvorstand hat gestern dem Wahlverlierer einstimmig sein Vertrauen ausgesprochen.

Die rot-grüne Koalition, auf die es nach Lage der Dinge hinauslaufen muß — rein numerisch wäre nur eine große Koalition mit der CDU die Alternative — tritt in einer denkbar ungünstigen Lage an. Sie hat nur eine gesellschaftliche Minderheit in der Stadt hinter sich, dafür die rechtsextreme Partei und den gestärkten „bürgerlichen“ Block aus CDU und FDP gegen sich. Und kosten darf die ökologische Erneuerung auch nichts — die Landeskassen sind mit 15 Milliarden Schulden angefüllt, deren Tilgungsrate in der Höhe der Neuverschuldung liegt. Kein hoffnungsvoller Aufbruch also, sondern eine Notgeburt. Keine guten Aussichten für Rot-Grün. Klaus Wolschner